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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sind ein Schweinehund, Tüverlin. Erst tun Sie, als gingen Sie auf alles ein; dann liefern Sie den alten Mist.« – »Nachdem Sie Ihre Meinung so unmißverständlich geäußert haben, Pfaundler, könnten Sie wieder gehen«, sagte Tüverlin, während die Sekretärin an der Maschine wartete, daß er weiterdiktiere. »Herrschaftseiten«, wütete Pfaundler, »das könnte Ihnen so passen. Daß Sie ewig an ›Kasperlim Klassenkampf‹ herummurksen. Wo bleibt: ›Höher geht’s nimmer‹? Wenn Sie mir bis Samstag kein ›Höher geht’s nimmer‹ liefern, dann lasse ich die Beträge schießen, die ich in Sie hineingesteckt habe, und das Manuskript schreibt ein anderer.« Und er schmiß die Manuskriptblätter auf den Schreibtisch. Tüverlin, gleichmütig, diktierte weiter. Herr Pfaundler hörte ein paar Sätze mit an, zog die Augenbrauen so hoch es ging, erstarrte. »Das ist ja überhaupt nicht einmal ›Kasperl im Klassenkampf‹«, sagte er ehrlich entrüstet. »Das ist ja überhaupt nicht die Revue, das ist ja überhaupt etwas ganz anderes.« Und die kleinen Mausaugen in seinem wulstigen Schädel glitzerten böse. Tüverlin antwortete nicht. Herr Pfaundler sagte noch einiges; zum Schluß, seine Ohnmacht erkennend, um den Abgang zu retten: »Ich werde Ihnen mein Ultimatum noch in einem eingeschriebenen Brief bestätigen.«
    Jacques Tüverlin, als Herr Pfaundler draußen war, warf mit einem kleinen, lausbübischen Blick der Sekretärin hin: »Natürlich hat er recht von seinem Standpunkt aus«, und diktierte weiter. Was er diktierte, hing nicht mit der Revue zusammen, das hatte Herr Pfaundler richtig bemerkt. Aber im Grund hing es doch zusammen. Tüverlin mußte, wenn die Arbeit gelingen sollte, über einiges Theoretisches ins reine kommen. Ob das Theater mit Kunst noch etwas zu tun habe, war fragwürdig geworden. Ob überhaupt Kunst als menschenwürdige Betätigung anzuschauen sei, stand nicht zweifelsfrei fest. Der Ingenieur Kaspar Pröckl zum Beispiel bezweifelte es, und seine Zweifel, so heftig er sie ablehnte, kratzten Herrn Tüverlin. Es drängte ihn, Kaspar Pröckls Argumente mit immer neuen Argumenten zu widerlegen. Sie debattierten viel.
    Herr Tüverlin war ein leidenschaftlicher Arbeiter. Daß Besucher kamen, daß das Telefon zehnmal in der Stunde läutete, daß um ihn ein Hin und Her war wie an einem Postschalter, störte ihn nicht. Ob etwas bei seiner Arbeit herauskam, kümmerte ihn nicht. Er hatte keinen Respekt vor dem Werk, arbeitete aus bloßer Freude am Basteln, am Bessermachen. Es reizte ihn, den alten Aristophanes für die unmögliche Bühnevon heute lebendig zu machen. Die Beweglichkeit dieses Dichters, der schnelle Übergang vom Pathos zu unflätigem Witz, die Elastizität seiner Hauptperson, die jetzt großer Ankläger und im nächsten Augenblick Hanswurst ist, vor allem aber der lockere Bau, der jede Zutat erlaubte, ohne daß die Grundkonstruktion aufgegeben werden mußte, das alles reizte ihn.
    Der Komiker Balthasar Hierl und der Ingenieur Pröckl berieten ihn, begutachteten, verwarfen. Die drei saßen zusammen, arbeiteten. Der Komiker Hierl schwieg die meiste Zeit, mürrisch. Manchmal stieß er unklare Laute des Zweifels aus. Manchmal wiegte er, deutlichere Anerkennung gab er nicht, den großen Birnenschädel. Manchmal sagte er giftig: »Schmarren.« Aber er achtete auf jedes Wort Tüverlins, klaubte, voll leidenschaftlicher Anteilnahme, alle seine Ideen zusammen. Tüverlin und Pröckl hatten Interesse an den technischen Möglichkeiten der Arbeit, nicht an der Wirkung, am Erfolg. Der fanatische Ingenieur, der mürrische Schauspieler, der bewegliche Schriftsteller hockten zusammen wie Alchimisten, verschwörerisch, brütend über der Aufgabe, aus einer Zeit ohne einheitliche Gesellschaft, ohne einheitliche Religion, ohne einheitliche Lebensform Kunst zu destillieren.
    Jacques Tüverlin, passioniert, stetig, doch ohne Methode arbeitend, ließ sich immer wieder auf Nebenwege locken. Er schrieb gleichzeitig an der letzten Fassung von »Marx und Disraeli«, an den Plänen zu dem Hörspiel »Weltgericht«, an der Revue. Er lief hin und her, sehr vergnügt, in seinem unordentlichen, komfortablen Zimmer. Wartend an der Maschine, blitzblank saß die Sekretärin, ein Grammophon spielte, er quäkte, dichtete, lachte schallend über einen geglückten Witz.
    Gut war es, zu arbeiten. Dieses Sich-schweben-Fühlen, wenn Dinge und Menschen, alles, was man sah, dachte, las, lebte, hineinwuchs in den Plan. Gut sogar

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