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Erfolg

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Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Versauung des Vaterlandes durch die Juden nicht habe verwinden können.
14
Bevölkerungspolitik
    Johanna hing an Tüverlin. Sie hatte ihn spät gefunden, nie hatte sie an einem Menschen eine solche Freude gespürt. Sie arbeitete mit Tüverlin, es war gute Arbeit. Es war zwischen ihnen eine gelassene, glückliche Verbundenheit.
    Da hinein, ein scharfer Schatten, fiel die Erinnerung an Odelsberg. Tüverlin sprach ab und zu von Krüger. Mit Ruhe, das Schicksal des Mannes einordnend in größere Zusammenhänge. Sie kratzte es, wenn er Krüger so aus der Ferne, aus den Wolken sah. So wie sie gewohnt war, manchmal nach langen Pausen erst zu antworten, so auch schnitt ihr seine Qual erst lange Zeit nach ihrem Besuch ganz ins Bewußtsein. Immer deutlicher jetzt erlebte sie jene letzten zwanzig Minuten im Zuchthaus, sah Martin Krügers gehetzte, stumpfe Augen, sein flackerndes, angestrengtes Bemühen, ihr mehr zu sagen, als er sagen durfte, die Hilflosigkeit dieser Bemühung. Sie hörte ihn sagen: »Da reden sie davon, daß Leiden den Menschen besser mache. Vielleicht unter freiem Himmel.« Sie hörte genau, wie er das sagte: unter freiem Himmel , die Hoffnungslosigkeit darin. So spricht ein Blinder von dem Licht, das jetzt nur mehr in seiner Erinnerung ist und niemals mehrWirklichkeit werden kann. Sie befahl sich ins Gedächtnis zurück alle Worte, die er gesprochen hatte, rätselte an ihnen herum, hörte ihren wirklichen Sinn. Erkannte, daß er an diesen Worten sicher lange herumgebosselt hatte, auf daß sie ihn verstehe. Erkannte, wie es ihn hatte aushöhlen müssen, als sich zeigte, wie sie stumpf war. Sie haderte mit sich, schämte sich, daß sie glücklich war, bereute.
    Unsinn. Sie schämte sich nicht, bereute nicht. Sie hat ehrlich getan, was ein Mensch für einen andern tun kann. War Glück ihr verboten, weil der andere im Unglück saß? Es war finsterer Atavismus, wenn der Gedanke an Martin sie störte. Er selber wäre erstaunt gewesen, wenn er von dieser Hemmung gewußt hätte. Man mußte nur genau hinschauen, dann zerfloß das alberne Schuldgefühl.
    Tüverlin ging neben ihr her, vergnügt, frisch, gescheit. Er ahnte nichts von dem dummen Druck, der auf ihr lag. Sie, um diesen Druck loszuwerden, wünschte sich doppelt ein Kind von ihm. Er ahnte nichts von diesem Wunsch.
    Bei Gelegenheit setzte er ihr seine bevölkerungspolitischen Anschauungen auseinander. Man hatte sich daran gewöhnt, die Lehre des Pfarrers Thomas Robert Malthus ironisch abzutun; der deutsche Nationalökonom Franz Oppenheimer hatte erklärt, es sei unlogisch bis zur physischen Übelkeit, Bevölkerungszunahme und Nahrungsmittelabnahme in Beziehung zu bringen. Allein er, Jacques Tüverlin, hielt dafür, daß man werde darangehen müssen, diese höhnische Abfertigung zu revidieren. Schon war infolge besserer Hygiene und geringerer Sterblichkeit ein großer Teil des Planeten übervölkert. In zwei Dritteilen von China, in weiten Gebieten Indiens gab es kein Land mehr zur Bebauung. Schon hatten die Straßen durch die Reisfelder eine Breite von kaum noch neunzig Zentimetern, und auch an diesen schmalen Pfaden nagten die Bauern, bis die unterhöhlten Pflastersteine absanken. Sogar in dem weiträumigen Rußland, da die sowjetische Sexualmoral Geburten nicht beschränkte, befürchtete man Mangel an Land schon für die übernächste Generation.Dennoch drängten überall Industrieführer, imperialistische Politiker auf Bevölkerungszuwachs. Leben mußte für ihre Zwecke im Überfluß vorhanden, mußte billig sein. War billig. Finanzierte zum Beispiel einer einen Ozeanflug, ein Freikorps oder sonst dergleichen, so konnte er sich kaum retten vor dem Gedräng derer, die bei schlechter Chance bereit waren, ihr Leben zu wagen für ein bißchen Geld oder Tagesruhm. Tüverlin selber hatte mitangesehen, wie vor drei Jahren während der Berliner Straßenkämpfe hungrige Frauen ihr Leben einsetzten für Koteletts im Wert von zwei bis drei Mark, sich mitten unter den Kugeln sofort auf die gefallenen Pferde stürzend. Der Staat selber tat alles, um den Kurswert des Lebens zu drücken. Seine Justiz, die Tötungen vornahm und den politischen Mord kaum bestrafte, die Art, wie er einen falsch verstandenen Patriotismus, wie er den Wehrgedanken hätschelte, das alles untergrub die Idee vom Wert des Lebens. Schätzte der Staat das entstandene Leben sehr gering ein, so verteidigte er mit um so größerem Nachdruck das entstehende, das keimende Leben. Eine solche Gesetzgebung

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