Erfolg
schien unlogisch, war es aber nicht. Gerade um den Kaufpreis der Ware Leben niedrig zu halten, bestand der Staat auf Gebärzwang statt auf Gebärverhinderung.
Johanna hörte solche Theorien nicht gern. Einmal fragte sie Tüverlin geradezu, ob denn er persönlich kein Bedürfnis nach Kindern habe. Er zerfältelte sein krauses, nacktes Gesicht noch mehr, blinzelte sie an. Packte sie mit den kräftigen, sommersprossigen Händen an den Schultern, drehte sie so, daß er ihr gerade ins Gesicht sah. Dann lachte er, laut, vergnügt, ließ sie los, sagte trocken: »Nein, ich persönlich habe durchaus kein Bedürfnis nach Kindern.«
Tags darauf, am Morgen, beim Frühstück, suchte er ihr ernsthaft klarzumachen, warum er kein Kind wollte. Alle Kunst, erklärte er ihr, wurzle in dem Bedürfnis, sich auszudrücken. Dieses Ausdrucksbedürfnis sei vermutlich ein Urinstinkt des Menschen, ihm mitgegeben, auf daß der Gattung die Erfahrungen und das Lebensgefühl des einzelnen erhaltenblieben. Im Grunde sei dieses Ausdrucksbedürfnis das gleiche wie das Fortpflanzungsbedürfnis. Johanna hätte gern etwas weniger Allgemeines, Persönlicheres gehört.
Wenige Tage später teilte Tüverlin Johanna vergnügt mit, am Donnerstag werde Mr. Daniel W. Potter sie in Villa Seewinkel besuchen. Die Schauspielerin Kläre Holz hatte eine Zusammenkunft vermittelt. Tüverlin hatte in dem Mammut aus Kalifornien einen Mann gefunden von umfassender Kenntnis der Welt, dazu begabt, methodisch und auf Grund des Objekts zu denken. Er hatte Johanna angeregt von dem Amerikaner erzählt, er freute sich auf den Besuch.
Johanna war eifersüchtig auf jede Minute, in der sie Tüverlin mit andern teilen mußte. Immer noch hoffte sie, gelegentlich doch werde sie den rechten Mut und das rechte Wort finden, um diese letzte gläserne Wand zu durchbrechen zwischen Tüverlin und ihr. Er hatte jenen Essay zum Fall Krüger geschrieben, er hatte ihr seine Anschauungen mitgeteilt über Gott und die Welt, über sie und sich selber, überaus klare Anschauungen, faßbare Sätze, Gedanken, einer gefügt in den andern. Was sie meinte, war etwas durchaus anderes, es war weniger klar, es ließ sich schrecklich schwer in Worte pressen, es hatte keinen Platz zwischen den festgefügten Gedanken Jacques’. Dennoch mußte es, es mußte möglich sein, daß dieses nicht Ausdrückbare übersprang von ihr zu Tüverlin.
Es verdroß sie, daß der Amerikaner kam. Ein Tag rollte hinunter und noch einer, und sie sprach nicht mit Tüverlin über das, was doch das Wichtigste war, und nun kommt auch noch dieser Amerikaner und stiehlt ihr einen Tag.
Wenn man es andersherum bedenkt, dann ist Mr. Potter ein großer und mächtiger Herr. Er hat auch, sagt Jacques, Geschäfte mit der bayrischen Regierung. Vielleicht kann er etwas unternehmen für Martin.
Sie hat wenig Vertrauen zu solchen Unterredungen. Sie hat so viele gehabt. Immer wieder hat sie geglaubt, ihr Zorn, ihre Empörung müsse etwas erwirken: jetzt strebt sie solche Unterredungen nur mehr aus Pflicht an, ohne Hoffnung; sieweiß im voraus, wie sie ausgehen. Sie wird mit diesem Herrn Potter reden. Herr Potter, der ein kluger Mann ist, wird sie klug anhören, und dann wird er sagen, er werde sehen, was sich tun lasse, er werde die Sache im Auge behalten, er werde sich herzlich freuen, einem Unschuldigen zu helfen, er werde mit den maßgebenden Stellen darüber reden. Und dann wird es aus sein, und am nächsten Tag wird er die ganze Sache vergessen haben. Das war das Scheußliche: man schrie, man schlug um sich. Aber man kam nicht an gegen die große, unendliche Gleichgültigkeit der Menschen. Heute schreist du, und vielleicht auch horchen die Menschen auf, aber morgen wissen sie nichts mehr davon. Sie haben alle soviel zu tun heutzutage. Wenn du mit ihnen sprichst, denken sie an den nächsten, mit dem sie sprechen werden, und wenn du ihnen aus dem Gesicht bist, dann haben sie deine Stimme und deine Sache aus dem Gedächtnis gestrichen.
Einmal muß sie, endlich einmal, einen Menschen finden, an den sie sich nicht vorsichtig heranzuschleichen braucht, ihn mit vielen raffinierten Mitteln zu gewinnen. Einmal muß einer da sein, den sie anschreien kann, wie das denn möglich ist, den sie anklagen kann, daß das sein darf. Einem muß sie in ein schuldbewußtes, angewidertes Gesicht hineinschreien, daß diejenigen, die daran schuld sind, Schweine sind, und daß diejenigen Schweine sind, die helfen könnten und es geschehen lassen.
Den
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