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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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vermutlich, um Weibund Kind wenigstens die Pension zu retten. Die Linkspresse griff den Fall auf, und jetzt also erstattete der Staatsanwalt Strasser seinem obersten Vorgesetzten Bericht.
    Der Staatsanwalt war ein jüngerer querköpfiger Herr mit zwei tiefen Narben, sogenannten Schmissen , wie sie sich die deutschen Studenten jener Epoche beizubringen pflegten in Waffengängen, die nur zum Zweck gegenseitiger Verwundung veranstaltet wurden. Der Minister Messerschmidt war ein alter querköpfiger Herr, ebenfalls mit solchen Schmissen . Der Staatsanwalt war der Meinung, er sei berufen, über das Gesetz hinaus den alten Staat zu schützen; der Minister hielt fest an dem überlebten Prinzip, eine Rechtssache dürfe ausschließlich nach den geschriebenen Gesetzen gerichtet werden.
    Der Minister regte sich auf. Er war überzeugt, wäre die Vorgeschichte des Gendarmeriewachtmeisters anders gewesen, dann hätte Herr Strasser nicht Anklage erhoben. Die Augen des Alten quollen bedenklich vor; sein Gesicht brannte hochrot aus dem weißlichen Bart. Auch der Staatsanwalt lief an, auch seine Schmisse färbten sich dunkler, doch er bezähmte sich, er dachte nicht daran, sich zu einer Torheit hinreißen zu lassen. Unterwürfig freilich war er auch nicht. Er wußte, mag der alte Trottel ihn rüffeln: dem Fall Dellmaier auch noch einen Fall Strasser zuzugesellen, kann er sich nicht leisten. Er sitzt sowieso recht wackelig, der Messerschmidt. Noch vor der Baumblüte kann er einpacken; noch vor der Baumblüte kann er an seiner Wohnungstür ein Schild anbringen: Minister a. D.
    Der Staatsanwalt Strasser, während der Minister heftig redete, wurde immer einsilbiger. Fast schon hatte er Langeweile, so sicher fühlte er sich. Er beschaute, bemüht, nicht laut herauszuplatzen, die Inschrift, die der Messerschmidt in großen Buchstaben über seinem Schreibtisch hatte anbringen lassen. Da war sie also, diese komische Inschrift, über die das ganze Land lachte. Sie war italienisch und sie besagte: »Gedenket des Bäckergesellen.« Es war aber dieser Bäckergesell ein Mensch, den die Richter der Republik Venedig zu Unrecht hatten hinrichtenlassen, und seither, solang die Republik Venedig bestand, war ein Mann bestellt gewesen, vor jeder Sitzung den Richtern zuzurufen: »Gedenket des Bäckergesellen.«
    Herr von Messerschmidt sah gut den Blick des Mannes. Er wußte aufs Haar genau, was der Kerl dachte, und schon als er ihn entließ, war es ihm leid, daß er sich aufgeregt hatte. Was schon ist gewonnen, wenn er den traurigen Tropf unschädlich macht? Nichts ist gewonnen. Überall herrscht Anarchie. Überall herrscht Willkür. Man kommt nicht auf gegen den Wust und die Unordnung; denn sie ist nicht eines einzelnen, sie ist allgemein.
    Er verabschiedete den Staatsanwalt ohne Zorn. Allein, wischte er über den Tisch, als fege er Dreck fort. Machte sich mit beiden Armen Platz zwischen den Akten des Schreibtischs, stützte den schweren Kopf zwischen die roten, behaarten Hände, stierte hilflos vor sich hin. Er hat als Senatspräsident manches gesehen, was ihm nicht gefiel. Aber das ständige Geschrei der oppositionellen Presse von Vertrauenskrise, von verrotteter, politisierter Justiz, das hatte er für Blumenkohl gehalten, für hysterisch übertriebenen Schmarren. Jetzt, vom Kabinett des Justizministers aus, sah er: es blieb weit zurück hinter der Wirklichkeit. Die Organe der Polizei standen im Dienst der Wahrhaft Deutschen; der Polizeipräsident selber hatte einem vom Reich steckbrieflich wegen eines gemeinen Verbrechens verfolgten Landsknechtführer einen gefälschten Paß ausgestellt. Wild tobte die alte bayrische Rauflust. Täglich Überfälle auf Friedfertige. In Ingolstadt, in Passau verprügelte patriotischer Mob ausländische Diplomaten, die sich amtlich betätigten. Wer den Burschen um Kutzner nicht genehm war, wurde mißhandelt. Und überall Freisprüche oder Verurteilungen, die Anerkennung mehr als Verdammung waren. Mord, Aufruhr, jede Gewalttat und Willkür, wurde sie von Patrioten ausgeführt, blieb ungesühnt.
    Der redliche Messerschmidt machte es sich nicht leicht. Er suchte zu ordnen, wo es ging. Gönnte sich nur wenig Schlaf. Auch seiner geliebten Sammlung bayrischer Kuriositätengönnte er kaum einen Blick; er überließ es seiner Frau, auszuwählen, welches Stück jetzt, damit man den Anschein standesgemäßen Lebens aufrechterhalten könne, verkauft werden sollte.
    Er hat wüstere Sorgen. Er weiß, warum es so schwer ist, warum er

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