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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Augenblick der französische Ministerpräsident Poincaré mehr interessierte als die tote Hausgehilfin Amalia Sandhuber, und es war natürlich unklug, gerade jetzt von ihnen Unterstützung zu verlangen. Aber der Messerschmidt hatte doch das Maul nicht halten können, darin war er komisch. Jetzt saß er da in seinem schwarzen, langen Rock. Die blauroten Wangen unter dem dichten, weißlichschmutzigen Bart zitterten. Die Augen in ihren großen Säcken gingen leicht töricht von einem Gesicht zum andern, am längsten blieben sie auf dem schweren Schädel des Flaucher, der sich nicht rührte und kein Wortsprach. Dann sagte der Messerschmidt, und seine Stimme klang heiser: »Ich hätte mir das nicht gedacht, meine Herren, aber ich hätte es mir denken können. Sie haben ganz recht, es ist ein kleiner Mord, und der ›Generalanzeiger‹ hat recht, wenn er sieben Zeilen darüber bringt und über die Kundgebung der Wahrhaft Deutschen vierhundert Zeilen, und am Morgen nochmals vierhundert, und am nächsten Abend nochmals vierhundert. Wir haben auch einige große Morde gehabt, über die hat man mehr gebracht. Aber anders geworden ist dadurch nichts. Sie haben recht: es ist ein kleiner Mord, und es ist kindisch, daß wir uns in dieser schweren Stunde des Vaterlandes damit beschäftigen. Aber sehen Sie, meine Herren, diesen kleinen Mord, den decke ich jetzt nicht mehr. Ich habe eine Aufstellung machen lassen, seien Sie ruhig, ich werde sie nicht veröffentlichen, sie ist nur zu unserer privaten Information. Es sind 3208 Straftaten, die die Wahrhaft Deutschen begangen haben in den letzten zwei Jahren, und man müßte 849 Prozesse anhängig machen, wenn man nach dem Gesetz vorgehen wollte.« Er hatte im Sitzen gesprochen; jetzt auf einmal stand er auf, schaute von einem zum andern und sagte ganz leise: »849 Prozesse. Davon sind aber nur 92 geführt worden, und wenn es hoch kommt, werden noch 60 bis 70 geführt, und herauskommen wird nichts dabei. Sie haben gemordet und gestohlen und oben zu unten gemacht, daß keiner mehr weiß, was Recht ist und was Unrecht ist. Sie haben die Denkmäler beschmiert, und wenn sie besoffen waren, sind sie auf die Judenfriedhöfe gegangen und haben auf die Grabsteine gekotzt. Sie halten mich vielleicht für sentimental; aber ich kann nicht schlafen, wenn ich an diese Grabsteine denke. Sie haben sie mit ihrem Kot besudelt, sie haben wie alle Verbrecher ihre Visitenkarte dagelassen. Und, sehen Sie, darum decke ich diesen kleinen Mord nicht mehr. Ich decke ihn nicht!« schrie er auf einmal und haute mit der Hand auf den Tisch.
    Es war unangenehm still in dem schönen Raum am Promenadeplatz mit den hübschen, altväterischen Möbeln. Herr vonDitram war auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder in Berlin gewesen, man war eigentlich zusammengekommen, nur um den Bericht über seine Berliner Eindrücke entgegenzunehmen und ein paar Beschlüsse allgemein nationaler Natur zu fassen. Nun hatte der ungemütliche Messerschmidt diese Geschichte vom Zaum gebrochen. Man schaute einander an, Herr von Ditram räusperte sich, alle machten betretene Gesichter. Nur der Flaucher, sich zwischen Hals und Kragen reibend, lächelte.
    Der Messerschmidt aber sah dieses Lächeln, und er begehrte nicht mehr auf, sondern seine Schultern wurden schlaff.
    Es wurden dann die Beschlüsse allgemeiner nationaler Natur gefaßt, die vorgesehen waren, und drei Tage später fand eine Umbildung des Kabinetts statt. Automatisch geradezu verschwand Herr von Messerschmidt. Automatisch auch mit ihm, seltsamerweise, verschwand der stille Herr von Ditram. Mit der Umbildung des Kabinetts wurde Dr. Franz Flaucher betraut.
    Herr von Messerschmidt, am Abend des Tages, an dem sein Rücktritt Gewißheit war, ging in den Herrenklub. Man verstummte bei seinem Anblick, kein rechtes Gespräch mehr kam auf. Man schmunzelte, flüsterte, er hörte deutlich: »Gedenket des Bäckergesellen.« Er wußte, daß er sehr isoliert war, daß man ihn für einen Burschen hielt, der voll senilen Starrsinns, trotzdem er dadurch den Staat gefährdete, klebrig hockengeblieben war. Dennoch traf es ihn, als er jetzt sah, wie man ihn ächtete.
    Er setzte sich in einen der riesigen Ledersessel. Er füllte ihn weniger aus als früher. Sein Gesicht kam hager aus dem weniger gepflegten Vollbart, die Augen quollen trüb, stumpf aus dem ungesund roten Gesicht. Er nahm eine Zeitung vor; allein er las nicht. Er war gefüllt mit Bitterkeit. Abgelegt wie ein ausgetretener

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