Erfolg
Tante, werde das schon deichseln. Es könnte nichts schaden, wenn die Tante weniger daherredete. Tüverlin selber schreibt kurz, vergnügt, nett. Immer mit der Adresse: Villa Seewinkel, Ammersee. Daß ihre Antworten trocken sind, spärlich, und daß sie aus München kommen, darüber scheint er sich keine Gedanken zu machen. Er hat Villa Seewinkel jetzt gekauft. »Es ist ein gutes Gehäuse für dich«, schreibt er. Es ist eine Gemeinheit, daß er sie allein läßt.
In diesen Tagen kam für Johanna das schwere Paket, aus dem sich ihre Maske herausschälte. Der Absender war nicht genannt. Sie hatte seit langem mit keinem leisesten Gedanken an den Windigen gedacht. Sie stellte die Maske auf den Tisch; es war eine einfache Gipsform, nicht verfälscht durch Anstrich oder Färbung, mit allen Poren und Feinheiten. Johanna saß davor, gradäugig, und schaute ihrer Maske insGesicht. Es war breit, kräftig, durch die stumpfe Nase und die geschlossenen Augen ruhig wie ein Stück Erde. Nein, das war nicht ihr Gesicht. Vielleicht wenn sie einmal tot ist, schaut sie so aus. Wenn sie so, sie suchte das Wort, so abgeklärt ausschaute, warum dann liefen ihr die Männer nach?
Wenn in einigen hundert Jahren ein Forscher diese Maske ausdeutet, er wird sie vielleicht nennen: Junge Bäuerin aus Altbayern, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. War sie von andern unterschieden? War sie mehr als die andern? Wie kam sie mit ihrem Alltagsgesicht dazu, von den andern zu verlangen, daß sie aufhorchen und mitgehen sollten, wenn sie den Mund aufreißt?
Wie soll dieses einzelne Mädchen Johanna Krain mit ihrem Alltagsgesicht aufkommen gegen den ganzen Staat Bayern? Das kann einer machen nur mit sehr viel Schlauheit und mit einem Haufen List. Niemals hätte sie sich mit dem offiziellen Bayern in einen Kampf einlassen dürfen, immer im dunkeln hätte sie bleiben müssen. Recht behalten oder nicht, das war gleichgültig. Strafunterbrechung erwirken, Amnestie, darauf kam es an. Schon ihre erste Aussage war Blödsinn gewesen. Dr. Geyer war sehr klug, damals, als er ihr anheimstellte .
Es ist eine unsichtbare Maschine, gegen die man kämpft, es ist ein verfluchter, tückischer Mechanismus, der immer zurückweicht, den man niemals packen kann. Man selber wird müde, man wird lahm: aber die Maschine wird nicht lahm. Auf der einen Seite allein sie, auf der andern dieser ganze, große, verdruckte Beamtenapparat. Keiner sagt ihr jemals nein; man bleibt höflich, auch wenn sie grob wird. Man schlägt nicht ab, bloß: man braucht Bedenkzeit, man erwägt, man untersucht .
Die Leute glauben ihr nicht mehr. Da steht sichtbar eine zornige Frau und schlägt wild los gegen etwas, das niemand sieht.
Sechsundzwanzig Tage hätte der Messerschmidt noch aushalten müssen. Dann stünde sie in Odelsberg mit einem Wagen. Wahrscheinlich wäre es der Wagen Pröckls, Pröckl müßtesie hinbringen. Sie stellt sich das sehr deutlich vor, wie sie auf der kahlen Straße steht vor dem Tor von Odelsberg und auf Martin wartet.
Nein, sie schaut nicht so, so stumpf aus wie auf dieser Maske. Kampf, selbst für eine gute Sache, hat einmal einer gesagt, macht schlecht. Aber so stumpf und ledern ist sie nicht geworden. Ausgeschlossen. Sie kramt aus alten Zeitungen ein Bild hervor von damals, als sie vor den Geschworenen stand, der Zeichner der Berliner Illustrierten hat es gemacht. Wie sie dasteht, wie sie den Kopf herumreißt gegen den Staatsanwalt, wie sie wild schaut, das ist Pose und arg übertrieben; aber doch ist es noch richtiger als dieses totenhafte, weiße Ding da.
Das war ein guter Zorn damals. Nur leider, so ein Zorn hält keine zwei Jahre vor. Sie kann ihren Zorn nicht in die Ecke stellen und bei Bedarf vorholen. Sie muß immer neu ankurbeln, das wird jedesmal schwerer.
Sie braucht einen, der ihr hilft: aber keinen Rechtsanwalt Löwenmaul, keinen Listigen, Vernünftigen. Sie geht zu Kaspar Pröckl.
Kaspar Pröckl kommt ihr noch zugesperrter vor als sonst. Allein wie er sieht, daß jetzt durch die Umbildung des Kabinetts für Martin Krüger von neuem alles verbaut ist, wird er sofort hitzig. Erwidert, wie der Knall auf den Schuß: ja, man müsse etwas tun. Es ist, als habe er geradezu auf ihre Aufforderung gewartet. Er geht an den Apparat, ruft die Bayrischen Kraftfahrzeugwerke an, verlangt den Fünften Evangelisten. Wird ungestüm, dringlich. Beruhigt sich erst, wie Direktor Otto ihm versichert, daß Herr von Reindl wirklich verreist ist. Johanna sieht nicht, wie er
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