Erfolg
schaffen und Justizexekutionen an Mißliebigen vorzunehmen, als Kostproben gewissermaßen der großen Abrechnung mit dem innern Feind. Eine solche bewaffnete Abteilung, unter Führung des Oberleutnants Weber und der Hauptleute Müller und Östreicher war zu einer Strafexpedition gegen die Walchenseekraftwerke aufgeboten worden, wo die Arbeiter gegen die Überfälle der Wahrhaft Deutschen proletarische Hundertschaften gebildet hatten. Radfahrabteilungen, Sanitätsabteilungen waren schon vorher in die Gegend des Walchensees abgegangen. Als aber das Gros der Strafexpedition die am Münchner Isartalbahnhof bereitgestellten Extrazüge besteigen wollte, weigerte sich das Bahnpersonal, die schwerbewaffneten Haufen zu transportieren. Die aufgebotenen Wahrhaft Deutschen, enttäuscht, begierig, ihre Tatenlust auszutoben, bekriegten nun die südlichen Münchner Arbeiterviertel Sendling, Thalkirchen, Brudermühlviertel, Neuhofen, Oberfeld. Sie sperrten Straßenzüge ab, forderten die Bewohner auf, die Fenster zu schließen, besetzten Hausgänge, Dächer, richteten Stützpunkte ein, zwangen die Straßenbahn, den Verkehr einzustellen, beschossen, was in Sichtweite kam. Insbesondere der eiserne Steg, der in diesem Stadtteil über die Isar führte, wurde unter Feuer genommen.Die Polizei, zu schwach zum Eingreifen, schloß sich in ihre Stationen ein. Als schließlich polizeiliche Verstärkungen eintrafen, erklärten die Führer dieser Abteilungen, die bewaffneten Wahrhaft Deutschen seien Notpolizei . Die Patrioten konnten ungehindert abziehen. Die Behörden beschränkten sich darauf, einige Proletarier jener Gegend festzunehmen und wegen Landfriedensbruch zu prozessieren.
Das Reich war damals überlastet mit Sorgen. Die Entwicklung der Dinge an der Ruhr, die Geldaufblähung, die Diktatur der Schwerindustrie, ihr Wunsch, die ihr mißliebigen roten Regierungen in Sachsen und Thüringen durch Reichsexekution mit Waffengewalt zu vertreiben, das alles waren dringliche Gefahren. Was bedeutete dagegen jene läppische Sendlinger Schlacht? Gut, die Bewaffnung der Wahrhaft Deutschen stammte zum Teil aus Beständen der Reichswehr. Das Reich hätte gesetzliche Handhaben gehabt einzuschreiten. Aber hatten sich nicht viel schlimmere Akte der Anarchie im Bayern jener Monate ereignet? War man die passive, insolente Art nicht gewohnt, mit der das Land Bayern auch in dieser Angelegenheit das Reich behandelte? Daß diese Provinz störrisch war, daß dort die Kette der Verfassungsbrüche und Gesetzlosigkeiten nicht abriß, das war bekannt, darüber debattierte man im Reichstag jeden zweiten Monat, darüber regte sich kein Mensch mehr auf. Man sah also der Interpellation ohne Interesse entgegen. Die Sozialdemokraten versprachen sich nicht viel; sonst hätten sie kaum den Dr. Geyer, um den jetzt ein so fataler Geruch von Komik war, als Redner vorgeschickt.
Dr. Geyer, als er auf die Tribüne trat, hinkte nicht. Seine Augen zwinkerten nicht, seine Hände flatterten nicht, er hatte seine Stimme in der Gewalt. Da stand er also auf der Tribüne des Reichstags, wie er sich’s oft gewünscht hatte, er stand in dem großen, mit altmodischen Ungeschmack überladenen Saal und sprach in die Ohren Deutschlands.
Er schilderte die Sendlinger Schlacht, machte ziffernmäßige Angaben über die Stärke der militärischen Organisationender Patrioten, über ihre Bewaffnung. Im Anschluß daran zählte er auf, aktenmäßig, in der Art seiner »Geschichte des Unrechts«, die wichtigsten unter den Gewalttaten, die die Wahrhaft Deutschen verübt hatten, ungesühnt. Die überfallenen Straßenpassanten, die gesprengten Versammlungen, die verwundeten und ermordeten gegnerischen Abgeordneten, das beleidigte Reich, den wüst geschmähten Reichspräsidenten, die verbrannte Reichsflagge. Er reihte Datum an Datum, Ziffer an Ziffer. Sprach scharf und beherrscht, ließ sich nicht hinreißen zu rednerischen Floskeln.
Der Saal war, als er zu sprechen begann, ziemlich leer gewesen. Die wenigen, die da waren, führten Privatgespräche, die Presseberichterstatter gähnten, Kommunisten und Vaterländische verulkten den Redner durch spaßhafte Zwischenrufe. Jetzt füllte sich der große Raum, die Privatgespräche hörten auf, die Journalisten verloren ihre Schläfrigkeit; wenn ein Wort dazwischengerufen wurde, war es nicht mehr spaßhaft. Von den Abgeordneten drängten viele, um besser zu hören, nach vorn. Auf den Bänken der Rechten erhob sich ein Kleiner, Alter, stützte sich mit beiden
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