Erfolg
aufatmet.
Dabei läßt es Kaspar Pröckl nicht bewenden. Er macht sich auf zur Witwe Ratzenberger. Viele seither haben versucht, die unklare eidesstattliche Versicherung der Frau Crescentia Ratzenberger mehr in Form und Schick zu bringen, auf daß auch ein widerstrebender Richter nicht mehr auskönne. Aber die Witwe Ratzenberger zog nicht recht. Ihr Franz Xaver warfreilich immer noch nicht ganz heraus aus den Flammen; doch ihre Angst vor dem Ludwig war größer als die vor dem Toten, der infolge ihrer Hilfe der Seligkeit immerhin bereits viel näher war. Auch diesmal wand sich die Frau und suchte Ausflüchte. Allein Kaspar Pröckl gab keine Ruhe. Was gutmütiges und drohendes Zureden, was Gewissensnöte nicht erreicht hatten, brachte seine Finsternis zuwege, die noch finsterer war als die des unwirschen Ludwig. Das weichmütige, spinnerte Kind Kathi fing laut zu flennen an, so ängstigte sie sich vor dem hagern, wild und scharf redenden Mann. Die Witwe Ratzenberger mußte den Wasserhahn aufdrehen, um das Mädchen zu beruhigen. Kaspar Pröckl ließ nicht aus. Während die Kathi plärrend vor sich hin sang, während das Wasser aus dem Hahn plätscherte, zwang er die Witwe Ratzenberger, eine Erklärung zu unterschreiben, runder, klarer als ihre bisherigen Bekundungen.
27
Rechtsanwalt Geyer schreit
Die Haushälterin Agnes, in langem, schleifendem Kleid, schlurfte ruhelos durch die Wohnung, die sie für Dr. Geyer in Berlin gemietet hatte. Es waren große, kahle, dunkle Räume in einem Haus am Rande der Innenstadt, dem proletarischen Norden zu; die Möbel Geyers nahmen sich hier noch unbehaglicher, verwahrloster aus als in München. Die gelbgesichtige Person war zufrieden in Berlin. Die kahle, düstere Wohnung paßte ihr, weil sie so groß war. Auch daß sie unter den zahlreichen Bewohnern des Hauses unterging, behagte ihr. Zudem war zwei Häuser weiter eine Bankstelle, wo sie sich betätigen konnte.
Erst hatte sie gefürchtet, der Anwalt werde sich in Berlin groß und glänzend entfalten; sie war überzeugt, er konnte das, wenn er nur wollte. Zunächst hatte es auch den Anschein,als wolle er. Man hatte ihn mit großen Erwartungen empfangen; sein erstes Auftreten im Reichstag war wirkungsvoll und wurde sehr günstig kommentiert. Dann aber war er wieder in seine frühere wunderliche Erstarrung gefallen, und jetzt hielt er sich fern vom Parlament und von den Zeitungen. Hockte lange Tage zu Hause, kramte wohl auch herum in den beiden Manuskriptbündeln »Geschichte des Unrechts« und »Politik, Recht, Geschichte«; aber er arbeitete nicht. Dann wieder strich er durch die Straßen des proletarischen Nordens, stundenlang, ohne Blick für die Leute, zwischen denen er herumgeschoben wurde. Verschwand wohl auch in einer Destille, schlang hungrig und doch ohne Lust eine Bockwurst hinunter und Kartoffelsalat. Die Haushälterin Agnes wußte genau, seit wann er zu arbeiten aufgehört hatte. Das war nach einem Bierabend beim Reichstagspräsidenten.
Dann war jene üble Affäre gekommen, die bewirkte, daß der Name des Abgeordneten Geyer wieder in allen Zeitungen genannt wurde. Aber mit wenig angenehmen Kommentaren. Dr. Geyer war in einer Bierhalle gesessen, allein, an einem Holztisch, und hatte auf die Platte Ziffern und Zeichnungen gestrichelt. Am Nebentisch führten zwei ein lautes, politisches Gespräch allgemein patriotischen Inhalts. Dr. Geyer hatte mechanisch zugehört, wahrscheinlich auch hatte er mehrmals hinübergesehen. Jedenfalls war plötzlich einer der beiden Herren an seinen Tisch gekommen und hatte mit lauter, schneidiger Stimme, so daß das ganze Lokal es hören mußte, sich’s verbeten, daß man ihn so arrogant anzwinkere. Dr. Geyer hatte ziemlich undeutlich erwidert; er war sich nicht bewußt, den Mann gekränkt zu haben. Da der auf einer Abbitte bestand, wurde auch Dr. Geyer scharf. Heftiger Wortwechsel. Der Herr erwies sich als Beamter der Reichsversicherungsanstalt, der nichts auf sich sitzenließ. Dr. Geyer verschmähte es, sich hinter seine Immunität zu retten. Beleidigungsprozeß. Der Herr von der Reichsversicherungsanstalt hatte ein harmloses Tischgespräch geführt, der AbgeordneteGeyer hatte ihn durch aufreizendes, ironisches Augenzwinkern verhöhnt. Dr. Geyer wies durch ärztliches Gutachten nach, daß sein Augenzwinkern nicht beleidigender Absicht, sondern krankhaften Veränderungen gewisser Nerven entsprang. Er wurde freigesprochen. Die Rechtspresse ließ es sich nicht nehmen, über den Fall
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