Erfolg
Händen auf sein Pult, verblieb so, angestrengt lauschend, viele Minuten.
Dr. Geyer erwähnte in seiner Aufzählung nicht die Ermordung des Dienstmädchens Sandhuber. Auch nicht den Minister Klenk nannte er, unter dessen Verantwortung viele Geschehnisse seines Berichts sich ereignet hatten. Wenn aber seine nackte Darstellung durch ihre brennende Schärfe die Hörer mitriß, dann war es, weil er, während er sprach, nicht die Gesichter der Abgeordneten vor sich sah und nicht den leeren Prunk des Plenarsaals, sondern weil er vor sich sah ein Stück dünnen Waldes und zwei Gesichter darin, eines mit sehr weißen Zähnen unter roten Lippen und ein großes, braunrotes, grinsendes, eine Pfeife im Mundwinkel.
Diese Rede im Reichstag blieb die einzige Antwort Dr. Geyers an Erich Bornhaak. Abgesehen von einer Geldsendung. Denn Geyer nahm an, über kurz oder lang werde der Tag kommen, wo man selbst in Bayern Dinge wie die Ermordungder Amalia Sandhuber nicht ungesühnt werde lassen können, und dann werde Erich Bornhaak Geld brauchen, um sich außer Landes zu begeben.
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Zeichen am Himmel
Die Stadt München indes füllte sich immer mehr mit kribbeliger Erregung. Schon kostete der Dollar 24 613 Mark. Ein Pfund Fleisch kostete 3 500, die Maß Bier 1 020 Mark. Während unter den Bauern immer zahlreichere sich Automobile und Rennrösser leisteten, verfielen in den Städten die Wohnhöhlen mehr und mehr. Tuberkulose, Kindersterblichkeit nahmen zu. Viele von den Dreiviertelliter-Rentnern konnten sich jetzt auch nicht mehr einen Viertelliter leisten. Ausgehungert schlichen sie herum in den großen Biersälen, in denen sie früher mit Behagen ihre Abende verhockt hatten, suchten sich Brotrinden zusammen, Käserinden, Bierneigen. Die ausgedörrten Gemüter wurden gespeist mit Hoffnungen, wilden Gerüchten. Jeden neuen Tag berichtete man von einer bevorstehenden Exekution der Reichsregierung gegen Bayern, von Kriegsrüstungen Sachsens und Thüringens. Vor allem aber von Gewalttaten aus dem Ruhrgebiet. Gepriesen wurde der Terror, durch den dort deutsche Aktivisten die fremde Besatzung bekämpften. Verherrlicht insbesondere in riesigen Totenfeiern wurde ein Mann, der einen Zug zur Entgleisung gebracht hatte und dafür von den Franzosen erschossen worden war. Straßen wurden nach ihm benannt, Wehrverbände trugen seinen Namen. Seinen Namen auf den Lippen, überfielen Wahrhaft Deutsche, sogenannte Ruhrflüchtlinge , in München das Gebäude einer Linkszeitung, verwüsteten es. In zündenden Reden forderte Kutzner, die Regierung müsse diesem Manne von der Ruhr nacheifern, die Nation in einen Taumel von Raserei versetzen; an jedem Laternenpfahlmüsse ein gehenkter Novemberverbrecher baumeln. Die Seelen in den ausgefrorenen und ausgehungerten Leibern entzündeten sich, kochten.
Am Stachus, einem belebten Platz, der schon während der früheren Revolution das Zentrum der Straßenpolitik gebildet hatte, liefen die Leute Abend für Abend zusammen. Redner erläuterten beflissen und gratis die politische Lage. Gegen Ende des Winters gab es eine besondere Sensation. Es erschien über dem erregten und verdrossenen Volk an dem rötlichgrauen Abendhimmel ein Flieger. Nachdem er Kreise über dem belebten Platz gezogen hatte, schrieb er ein Zeichen an den abendlichen Himmel, ein mächtiges Zeichen aus Rauch, mehrere Male: das Zeichen der Wahrhaft Deutschen, das indische Fruchtbarkeitsemblem. Weit auf rissen, starr vor Verwunderung, die Tausende die gläubigen Augen. Gesichter, blaß vor Staunen, legten sich zurück, stierten hoch. Einer mit einem Rucksack und einem grünen Hut brauchte eine halbe Minute, bis er den Mund wieder zuklappte. Erst dann zu seinem Nachbarn sagte er: »Sakra«.
Die Redner bemühten sich mit doppeltem Eifer, einzudringen in die durch das Zeichen am Himmel bereiteten Gemüter. Den größten Zulauf hatte ein Hagerer, der hoch vom Verdeck eines Autos herunter auf die Menge einsprach. Gescheitelt fiel ihm das Haar über den feierlichen, schwarzen Rock, ab und zu den melierten Bart strähnte er sich, listig strahlten, treuherzig, sehr blau die kleinen Augen über der höckerigen Nase, der goldgezahnte Mund klappte auf und zu. Volkstümlich erzählte er vor interessierten Hörern. Wie er einmal scheintot gewesen sei, wie schon die Doktoren des Krankenhauses ihn totgeschrieben hätten, wie aber dann akkurat wie ein Wunder der Professor Nußbaum noch dazu gekommen sei und an ihm herumgedrückt, gerüttelt und geschüttelt habe. Da
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