Erfolg
ruhige und kraftvolle Sprache führte. Seine greise Mutter hatte recht gehabt, er hätte seinerinneren Stimme folgen, sich dem gewalttätigen Klenk nicht fügen sollen. Jetzt hieß es diplomatisch sein. Man mußte einen strategischen Rückzug antreten, auf daß wenigstens seine stolze Fahne mit dem Hakenkreuz nicht als Fetzen und läppisches Kinderspielzeug erscheine.
Der Generalstaatskommissar Flaucher empfing ihn. Es fand zwischen den beiden Politikern eine ruhige, geradezu höfliche Unterredung statt. Kutzner war handsam, demütig, gab zu, seine Unterführer seien zu weit gegangen, mißbilligte insbesondere den Dr. Klenk, erklärte feierlich, er habe nie an einen Gewaltakt gedacht. Flaucher, geschwellt von Triumph, großmütig, gab Erlaubnis, von den vierzehn angekündigten Versammlungen sieben abzuhalten. Die große, öffentliche Fahnenweihe unter freiem Himmel aber erlaubte er nicht. Kutzner erklärte nachdrücklich, feierlich, er verbürge sich mit seiner ganzen Person und seiner Ehre für den vollständig einwandfreien Verlauf. Allein Autorität muß sein: Flaucher blieb fest. Ernsthaft wie ein Lehrer setzte er das dem Führer auseinander. Doch der wollte nicht hören. Redete immer das gleiche, bat, drohte, beschwor. Ging zuletzt nach einem besonders geglückten Satz unvermutet aufs Knie nieder, die Arme leicht erhoben. Kniefällig bat er den Flaucher, ihm seine Fahnenweihe nicht zu verhunzen. So war Konrad Stolzing gekniet auf der Bühne des Hoftheaters vor dem König Philipp II. und hatte Gedankenfreiheit von ihm verlangt, in der Rolle des Marquis Posa, einer Bühnenfigur des deutschen Bühnendichters Schiller.
Dr. Flaucher war befremdet, als der hagere Herr Kutzner so plötzlich vor ihm das Knie beugte. Er hatte kniende Menschen bisher nur in der Kirche gesehen. Es war eigentümlich, wie er so dasaß und der lange Herr in dem eleganten, uniformartig zugeschnittenen Sportsrock vor ihm kniete und ihm mit demütiger Gebärde die weiten Nasenlöcher zukehrte. »Bist stad, Waldmann!« sagte Flaucher, da der Dackel beunruhigt unter dem Schreibtisch hervorgekrochen war. Ein ungeheurer Triumph füllte das Herz des Generalstaatskommissars. Indie Knie gezwungen hat er den Mann, der sich der gottgewollten Ordnung nicht fügte. Da lag er vor ihm, im Staub. Eines nur bedauerte er, daß Klenk nicht da war und diesen Augenblick miterlebte. Aber wenigstens klopfte es, und herein kam der Minister Kastner. Kutzner erhob sich rasch, wischte sich den Staub von den Hosen. Zu spät. Jetzt war ein Zeuge da, der den Sieg Flauchers mitangesehen hatte.
»Ja mein, Herr Kutzner«, äußerte Flaucher steif, hölzern, wieder ganz Beamter, »ich bedaure sehr, Ihrer Bitte in diesem Punkt nicht stattgeben zu können. Der Herr Kollege«, fügte er hinzu, auf Kastner weisend, »ist durchaus meiner Meinung.« Sebastian Kastner nickte hastig. Kutzner suchte die Tür; es war nichts mehr zu sagen. Aber wortlos fortgehn, nein. »Ich fürchte«, sagte er, »aus dieser Stunde wird für Deutschland eine schlechte Saat aufgehen.« Er machte eine ruckartige, militärische Verbeugung, schritt hinaus. Er hatte in seine letzten Worte Trauer, Drohung, Würde gelegt; aber selbst der Schauspieler Stolzing hätte zugeben müssen, daß sein Abgang nicht glänzend war.
Flaucher, nach seinem Siege, zeigte sich mild. Er verbot sogar dem Freidenkerverein den Vortrag eines bekannten Forschers über »Animismus bei den Papuas«, damit nicht die Wahrhaft Deutschen sich getroffen fühlten.
Am Nachmittag erschien in dem gelben Biedermeierpalais Otto Klenk. Er war nicht angemeldet, aber Flaucher empfing ihn sofort. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Kollege?« fragte er. »Ich nehme an, Flaucher«, sagte Klenk, »oder muß ich Herr Staatskommissar sagen, ich nehme an, daß Ihr großartiger Erlaß eine Geste ist. Wir lassen Ihnen gern Ihre Titel, Herr Generalstaatskommissar: aber in der Sache bedauern wir, Ihnen keine Konzessionen machen zu können. Der Parteitag findet statt, die Fahnenweihe findet statt.« Klenk saß riesig da mit seiner Lodenjoppe und den braunen, gewalttätigen Augen; der Flaucher mit seinem viereckigen Schädel, so massig er war, hockte klein vor ihm. Klenk war darauf gerüstet, daß Flaucher jetzt aufbegehren werde, erfreute sich darauf. Aber Flaucher rieb sich nur zwischen Hals und Kragen, das war alles. Im übrigen schauten seine stumpfen, mit vielen blutigen Äderchen durchzogenen Augen still auf den vehementen Gegner. Er hatte ihm das
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