Erfolg
Zeit, in der es entstand. Es lag nicht an der Begabung des einzelnen, ob durch seine Arbeit ein Werk zustande kam oder nicht; es lag lediglich an der Zeit, an den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Der Aufsatz über »Josef und seine Brüder« zum Beispiel galt ihm nur als Schnörkel, den er am liebsten ganz gestrichen hätte. Das Gesamtwerk des Malers Landholzer, seine Wirklichkeit, bewies ja, wohin eine konsequent individualistische Kunstauffassung heute führte: zur Persönlichkeitsspaltung, zur Schizophrenie, ins Irrenhaus. Dem Pröckl lag nichts daran, ob das Werk Martin Krügers rund wurde oder nicht; ihm kam es darauf an, daß aus diesen Seiten das Rebellische herausschlug, jener revolutionäre Geist, der in Krügers letzten Stunden aufbegehrte. War etwa Krüger abgeklärt gestorben, mild, im Glanz? Qualvoll verreckt war er, in Kot und Blut, ein Rebell. Folgerichtiger Abschluß, Krönung seines Werkes war nicht »Josef und seine Brüder«, sondern der Goya.
Nicht als ob Kaspar Pröckl dem »Versuch über Goya« ganz zugestimmt hätte. Dieser »Versuch« war nicht gut, war unerlaubt glanzvoll. Revolution war nicht glanzvoll, Revolution war eine harte, langwierige, unpathetische, bösartige Sache. Trotzdem: die Arbeit über Goya war Rebellenarbeit, zeigte das Wertvolle, Wesenhafte an Martin Krüger. Wenn Pröckl sich vor Tüverlin für den Goya ereiferte, wenn er versuchte, seinen falschen Glanz wegzubringen, das Wesenhafteherauszuholen, so war dies eine Art Selbstzüchtigung, Wiedergutmachung. Er hatte dem Martin Krüger nicht dazu verhelfen können, daß er sich durchbiß. Es war eine Niederlage gewesen, er hatte versagt. So wollte er wenigstens das, was von Krüger blieb, nach seinem eigenen Bilde gestalten.
Es kostete ihn Selbstüberwindung. Immer wieder sah er deutlich den Graubraunen vor sich, wie der ihm vorwarf, es fehlten ihm die wichtigsten Organe: genußfähige Sinne und ein mitleidendes Herz. Er hatte noch genau im Ohr den Tonfall des Toten, wie der ihm im Besuchsraum der Anstalt das Kapitel vorlas: »Wie lange noch?« Er hatte noch genau im Ohr, wie herzhaft ihn Krüger auslachte. Heute noch wehrte er sich gegen den Toten, haderte mit ihm, verwahrte sich ergrimmt. Es war eine Lüge, er war kein Puritaner. Dieser Tote hatte nicht gewußt, was es ihn kostet, Sentiments durch helle, harte Vernunft zu unterdrücken. Oft, wenn er die Seiten Krügers las mit ihrem Lack und Glanz, wenn Tüverlin ihm mit einem Blender von Aphorismus zu Leib rückte, spürte er stark die Versuchung, sich auf ein Gebiet zu retten, wo er sich besser wehren konnte. Aber er widerstand, griff nicht zu seinem Banjo, schrieb keine Ballade.
Er war verbittert gegen Tüverlin. Er anerkannte seine Begabung, aber er frisierte sich den Schriftsteller Tüverlin zurecht als reinen Repräsentanten der untergehenden Bourgeoisie. Pröckl war erfüllt von tiefem Mißtrauen gegen alles, was wie Erfolg aussah. Erfolg machte ihm ein Werk, einen Menschen von vornherein verdächtig. Tüverlin war schon anrüchig durch seinen Erfolg. Denn was konnte in einer kapitalistischen Welt Erfolg haben als das, was ihrer herrschenden Schicht dazu diente, ihren Profit zu sichern und zu mehren? Tüverlin, das gestand er ihm zu, schrieb seine Bücher nicht bewußt zur Mehrung dieses Profits; aber unbewußt ließ er sich von solcher Absicht leiten. Ohne daß er’s wußte, schrieb aus ihm das Kapital und verdrängte, was vielleicht an besserer Erkenntnis in ihm war. Er konnte nicht heraus aus der Ideologie der herrschenden Schicht, von der er ein Teilwar. Er war ein Repräsentant des faulenden, schmeckerischen, unernsten Europas, das er, Kaspar, jetzt verließ, um mitzuarbeiten an den Fundamenten einer besseren Welt.
Tüverlin konnte sich nicht versagen, den Kaspar Pröckl zu necken, ihn durch halbernst gemeinte Aussprüche aufzuziehen. Einmal etwa setzte er ihm auseinander, wie sein Marxismus bedingt sei ausschließlich durch sein individuelles Temperament. Den Pröckl erbitterten derartige Halbwahrheiten bis aufs Blut. Gröblich mit seiner gellenden Stimme schrie er auf Jacques Tüverlin ein, der quetschte zurück. Unvermittelt dann machten sie sich wieder an die Arbeit, sich über praktische Details rasch verständigend.
Johanna saß still dabei, schaute von einem zum andern. Wahrscheinlich war, was Jacques über das Werk sagte, richtig; aber ihr wurde Martins Gesicht deutlicher, wenn Kaspar Pröckl sich ereiferte. Wie immer, der Streit der
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