Erfolg
Land bei der Stadt Hamburg, fuhr durchdie Tiefebene, durch Berge, über Flüsse, über den Fluß Rhein, den Fluß Donau, gelangte in das Land Altbayern, stand vor Johanna Krain. Und als er sie sah, sah er gleich, seine Grübelei war nicht akademisch gewesen. Der Tod Krügers war kein gültiges Ende des Falles Krüger. Der Tod Krügers ging ihn sehr persönlich an.
Johanna stand vor ihm in ihrem großen Zimmer in der Steinsdorfstraße. Es waren wenige Monate, daß sie das scharfe, zerknitterte Gesicht mit den großen, festen Zähnen und dem vorspringenden Unterkiefer nicht gesehen hatte, aber ihr schienen es viele Monate, und sie liebte diesen Mann maßlos. Er hielt ihre beiden Hände in seinen kräftigen, sommersprossigen, und er sprach mit seiner vergnügten, gequetschten Stimme auf sie ein. Er konstatierte erfreut, daß ihr Haar wieder lang geworden war. So, sie hatte die Absicht, es im Knoten zu tragen? Ja, das paßte zu ihr, das war großartig. Sie redeten munter über hundert Dinge des Alltags, es schien, als sei nichts weiter in der Zwischenzeit gewesen. Aber dazwischen war, daß er Martin Krüger beinahe befreit hätte und daß Martin Krüger gestorben war. Und Johanna wußte, daß, so maßlos sie diesen Mann liebte und so läppisch und dunstgleich ihre Hemmungen waren, sie niemals mehr mit ihm werde schlafen können.
Fünfzig Jahre vorher hatte der deutsche Philosoph Nietzsche gelehrt, Psychologie sei geradezu der Maßstab für die Reinheit oder Unreinlichkeit eines Volkes. In Deutschland sei die Unsauberkeit in psychologischen Dingen Instinkt geworden. Jacques Tüverlin hatte diesen Satz gut verdaut. Was der Philosoph konstatiert hatte, mochte einen verdrießen: wer Vernunft hatte, nahm die Tatsache als Tatsache, richtete sich danach.
Jacques Tüverlin sah, wie es um Johanna bestellt war. Sie sagte: »Es ist schade, daß du nicht geredet hast, bevor du gingst.« Sie hatte recht. Er hatte einen Fehler gemacht. Es war an ihm gewesen, zu reden, sie besser zu sehen, besser zu kennen. Er hatte einen Fehler gemacht. Er hätte wissen müssen,daß sie sich durch Monate und Not verzehren werde, daß sein eitles Verschweigen für Krüger üble Folgen haben konnte. Er hatte einen Fehler gemacht. Als sie jetzt sagte, es sei schade, daß er geschwiegen habe, versuchte er nicht erst lange, ihr seine Gründe zu erklären. Er sagte einfach: »Ja, es ist schade.«
Er sah, wie schwer im Gefühl diese Frau war, wie kein klares Wort, keine vernünftige Erwägung ihr über diese Schwere forthelfen konnte. Sie stand vor ihm, dumpf wie ihr Land, querköpfig, und er liebte sie sehr.
Ein dicker, sinnloser Stein lag zwischen ihr und ihm. Sie hatte ihn hingeschoben aus purer Einbildung, sinnlos. Allein das nützte ihm nichts. Eine Handlung muß nicht unrichtig sein, bloß weil sie unlogisch ist. Sie wird auch nicht immer richtig, bloß weil sie ihre Logik hat. Er ging immer von sich allein aus und von seiner Erkenntnis. Das war falsch. Der Stein war da. Die Schuld lag an ihm. Er beklagte sich nicht.
4
Opus ultimum
Johanna bekam die Manuskripte Martin Krügers von der Direktion der Strafanstalt Odelsberg heraus. Es waren große Bündel, Hefte, immer wieder korrigierte Seiten, abgerissene Zettel, Aufzeichnungen, stenographische Notizen, schwer zu sichten. Johanna bat Jacques Tüverlin, zusammen mit einem Fachmann den Nachlaß herauszugeben. Tüverlin zog lieber Kaspar Pröckl heran.
Die beiden Männer saßen zusammen wie in den Tagen, da Tüverlin an der Revue schrieb. Nur stritten sie noch viel heftiger. Den Schriftsteller Tüverlin interessierte nicht der Mann, der jene Seiten geschrieben hatte, ihn interessierte nur das Werk. Dieser tote Martin Krüger hatte das Glück gehabt, den Kreis seiner Begabung ganz auszuschreiten. Der wilde, rebellische Versuch über Goya war herrlich ergänzt durchden stillen, mildglänzenden Aufsatz über »Josef und seine Brüder«. Es gab starke, unglückliche Begabungen, die immer im Fragment steckenblieben, denen ein Fertiges, ein Werk, niemals glückte. Manchmal brachte ein Mann von kleinem Format größere Dinge zustande als ein Mann von großem. Martin Krüger war eines jener kleineren, glücklichen Talente, die die Schale fanden, jeden Tropfen ihres Weines aufzufangen. In diesem Sinne suchte Tüverlin den Nachlaß Krügers zu ordnen, zu runden.
Den Ingenieur Kaspar Pröckl kratzten solche Theorien aufs Blut. Es war nicht wahr, daß ein Werk seinen Meister lobte: es lobte höchstens die
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