Erfolg
primitiv. Er studierte eifrig, doch mit positiver Skepsis an dieser Wissenschaft herum. Sie steckte, fand er, ähnlich wie die Wetterkunde in den Anfängen. Ahne da etwas, dort etwas, sei aber unverwertbar für die Praxis. Nicht einmal das Schicksal dieses Mannes Krüger, so sichtbar es mit Politik verknüpft war, ließ sich mit ihrer primitiven Methode erfassen.
Jacques Tüverlin überlas, was er in jenem Essay über Martin Krüger gesagt hatte. Er hatte die Zusammenhänge diesesSchicksals mit den soziologischen Bedingungen der Zeit bloßgelegt, hatte aber nirgends die Verbindungsfäden zu einer tieferen Deutung abgeschnitten. Er brauchte jetzt, nach dem Ende Martin Krügers, nichts zu widerrufen. Auch an seiner Praxis dem Manne Krüger gegenüber fand er bei genauerer Erforschung nichts zu tadeln. Der Mann war ihm nicht sympathisch gewesen. Ihr Schicksal kreuzte sich, er hatte sich nicht gedrückt, hatte die unwillkommene Beziehung auf anständige Art auseinanderzuknüpfen gesucht. Hatte dem Toten gegenüber fair gehandelt.
Unnütze, aussichtslose Grübeleien waren gegen seine Gewohnheit. Trotzdem bedrängte ihn jetzt, da nichts mehr daran geändert werden konnte, dieses Schicksal. Er konnte nicht verhindern, daß, genau wie Johanna Krain, auch er sich in seinen Nächten mit Martin Krüger auseinandersetzte. Er rechtfertigte sich vor dem Toten, legte ihm mit guten Gründen dar, daß man für ihn nicht mehr habe tun können, als man getan habe.
Jacques Tüverlin, als er aus Amerika zurückfuhr, war in seinem vierzigsten Jahr. Er sah aus wie dreißig. Der ganze Mann war frisch, gelockert, gut in Fahrt. Er hatte Neues gesehen, hatte neue Fragen und Zweifel gelernt, hatte Hirn, Herz, Glieder trainiert. Er hatte ein dickes Bankkonto, galt als einer der repräsentativen Schriftsteller der Epoche. Er fuhr übers Meer, gesättigt mit Bildern und Visionen, gestopft mit Plänen, gelassen wartend, welcher reif werde, erfüllt von einer kräftigen Freude auf Europa, auf Bayern, auf Johanna Krain.
Einzige Trübnis blieb die unerwartete Lösung des Falles Krüger. Allgemeines und sehr Persönliches ging ihm da ärgerlich durcheinander. Er hatte, als das Mammut die Freilassung Martin Krügers von der bayrischen Regierung forderte, seinen Spaß gehabt an den sonderbaren Wegen, die das Schicksal beliebte. Wenn er Johanna nichts gesagt hatte, so war das, weil es nicht seine Art war, eine Ernte groß auszuläuten, solang er sie nicht unter Dach hatte. Aber wahrscheinlich wares mehr noch aus Eitelkeit. Er hatte sich gefreut, zurückzukommen als der gute, lächelnde Onkel, der die Schwierigkeiten ringsum mit leichter Hand zum fröhlichen Ende bringt. Diese Überraschung war ziemlich gründlich mißglückt. Dagegen war nichts zu sagen. Recht geschah ihm.
Nicht recht aber geschah dem Manne Krüger. Das verdroß ihn. Es mußte ein Sinn sein hinter dem scheinbar Sinnlosen. Es war bequem, an eine Vorsehung zu glauben, mochte man sie nun Gott heißen oder, nach modischer Mythologie, ökonomisches Gesetz. Es war da ein Urwald, durch den sich jeder seine eigene Straße selber hauen mußte. Er jedenfalls konnte die Straße nicht entdecken, die die andern zu sehen vorgaben. Er blieb angewiesen auf sein eigenes Witterungsvermögen. Seine Nase allein konnte ihm helfen, nicht die guten Ratschläge der Herren Hegel und Marx.
Der Fall Krüger, durch seine scheinbare Sinnlosigkeit, kratzte ihn besonders. Um ein Haar hätte sein, Jacques’, Wille es gefügt, daß der Mann wieder herauskonnte. Er hätte nur seinen Überlegenheitsfimmel ein wenig zähmen und Johanna rechtzeitig sprechen müssen, dann hätte vermutlich der Mensch den freien Himmel noch gesehen. Den Sinn dieses Ablaufs, dieses Beinahe, dieses letzten Nein herauszukriegen, quälte ihn wie nach allen gelösten Worten eines Kreuzworträtsels das letzte, ungelöste. Woran war Krüger verreckt? An Angina pectoris? An dem Bild der Anna Elisabeth Haider? An Politik? An soziologischen Zusammenhängen? Vor dreiundzwanzighundert Jahren hätte man darüber eine Schicksalstragödie geschrieben. Zu zeigen, daß der Mann Krüger ein Opfer der ökonomischen Verhältnisse war, wäre nichts anderes gewesen als banalisierte Schicksalstragödie.
Da fuhr also dieser Schriftsteller Jacques Tüverlin übers Meer, bedeckt mit vielem Ruhm und mancher Erkenntnis, doch übel gekratzt von einigen Fragen, betreffend das unbehagliche Ende des Falles Krüger. Er fuhr sieben Tage und sieben Nächte, stieg an
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