Erfolg
anfeuernd.
Cajetan Lechner hockte auf dem Brückengeländer, die Knaben störten ihn. Wenn die so damisch herstierten, da konnte eines nicht auf einen vernünftigen, weihevollen letzten Gedanken kommen. »Fahrt ab, Saububen, dreckige«, sagte er. Aber die dachten gar nicht daran. Sie debattierten, wie hoch die Brücke sei, und ob einer da schon durch den Luftdruck getötet werde oder erst unten zerschmettere. Sie hatten ähnliches im Film gesehen, sie waren sachverständig und sehr gespannt auf die Wirklichkeit.
Der alte Lechner hockte auf seinem Geländer. Es war verflucht kalt, die Füße waren ihm ganz steif, da kriegte man ja das Reißen. Eigentlich war ihm die Stimmung vergangen. Doch er genierte sich vor den Buben, so unverrichteterdinge wieder herunterzusteigen. Sie hatten ganz recht, er war ein Unwürdiger, es gehörte sich, daß er da hinuntersprang. Er suchte sich anzufeuern, sich seinen ganzen Jammer vorstellend. Die Buben schimpften, daß er sie solang warten ließ. Aber der Appetit war ihm ebenso rasch vergangen, wie er ihm angeflogen war. Da half kein Anfeuern mehr; wenn eines nicht in Stimmung ist, dann kann man nicht verlangen, daß man da hinunterspringt. Grimmig aus seinen wasserblauen Augen schaute er auf die Knaben, stieg umständlich herunter vom Geländer, schimpfte: »Rotzbuben, dreckige, gescherteLackel, Saubagage, damische«, trollte sich. »Schisser, Hundskrüppel, elendiger«, derbleckten ihn die Buben zurück.
Er schleppte sich wieder zur Bank, todmüde, als müßte er jeden Knochen einzeln vor sich her tragen. Hinter ihm klang es noch immer: alter Saubartel, Hundskrüppel dappiger, Lahmarsch trauriger. Er möchte gerne länger ausruhen, trotz der Hundsbuben. Allein wenn er auf der Bank sitzen bleibt, dann erkältet er sich auf den Tod.
Er ging zurück zur Stadt. Jetzt waren überall die Plakate Kutzners abgerissen, nur mehr die Plakate der Regierung klebten. Er stellte sich vor solch einen Anschlag, las, ohne zu begreifen. »Der Schuft von einem Flaucher, der Verräter, der Hundling«, schimpften die Leute. Ja, ja, sagte Cajetan Lechner. Wenn einer ihn anschaute, glaubte er, er schaue schief, rieche ihm seine Schande an.
Schließlich, getrieben von Schwäche, traute er sich doch in eine Wirtschaft. Er aß eine Leberknödelsuppe. Erst aß er mechanisch, gierig, aber dann schmeckte es ihm, und er bestellte eine saure Lunge, und hernach bestellte er einen Kalbsbraten. Dazu trank er ein Bier, und noch eins, und dann trank er Kaffee. Er saß lange in der rauchigen Wirtschaft, es war warm, er dunstete aus. Das war ein böser Tag gewesen. Das Schrankerl hin, das gelbe Haus hin, die Ehre hin. Unwürdig war er, so benahm man sich nicht als Hausbesitzer und Vizepräsident der Grüabigen.
Aber es war doch gut, hier zu hocken. Wie die Kugeln an der Mauer zerspritzten, das war scheußlich gewesen. Jetzt hatte er einen Kalbsbraten und eine saure Lunge im Magen, und sein Gewehr war er auch los und die Armbinde, und jetzt geht er ins Volksbad und badet.
Er zahlte und gab ein reichliches Trinkgeld. In der Trambahn, auf der Fahrt zum Volksbad, schauten sie ihn schon wieder so an. Dann lag er in der Wanne. Er blickte träumerisch auf die Inschrift, daß man nach fünfundvierzig Minuten die Badezelle wieder verlassen haben müsse und daß der Friseur im Hause sich auch für Fußpflege empfehle. Schade, daßman nur so kurz in der Wanne bleiben durfte. Der Lechner hatte das Gefühl, als spüle er mit jeder Minute mehr von dieser damischen Revolution und von seinem unwürdigen Revolutionsadam fort. Aber er mußte bald heraus aus der blaßblauen Wärme und wieder in seine beschmutzten Kleider.
Seufzend fuhr er nach Haus. Wenn man die Kinder brauchte, dann waren sie nicht da: heute, wo er die Wohnung leer hoffte, da hockte natürlich die Anni und wartete auf ihn. Sie hatte eine Mordsangst ausgestanden. Es hatte so viele Tote und Verwundete gesetzt, sie wußte, er war dabeigewesen, und er war die ganze Nacht und den ganzen Tag nicht nach Haus gekommen.
Er hatte für ihre Fragerei ein nichtssagendes, mürrisches Gebrabbel. Verlangte ins Bett; er fürchtete das Reißen oder wenigstens einen starken Schnupfen, sie solle ihm einen Fliedertee machen. Hastig, während sie ihm den Tee bereitete, zog er sich aus, suchte die Wäsche vor ihr zu verstecken. Sie brachte ihm eine Wärmflasche und das heiße Getränk. Er schwitzte, brummte, fühlte sich wohl. Aber ganz ausschwitzen konnte er seine Unwürdigkeit und
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