Erfolg
die Erledigung nicht etwa durch einen Fortgeschrittenen geschah, sondern durch einen, der sich selber nach Kräften gegen die Industrialisierung wehrte. So zeigte sich, daß sogar solche Zufälle wie die Führung dieses läppischen Putsches durch den armseligen Kutzner und sein Zusammenbruch durch den armseligen Flaucher einer gewissen Auslese unterlagen. Beider Männer Tun erwies sich, von oben gesehen, als ein Segen für das Land Bayern.
Jacques Tüverlin war im Begriff, dem Verteidiger des Flaucher, dem Sebastian Kastner, beizuspringen, wie der jetzt klobig und allein inmitten der höhnischen Herren sich abzappelte: als ein neuer Gast eintrat, der ihn mehr fesselte als der Kastner und den er seit langem nicht gesehen hatte, Otto Klenk.
10
Eine Wette kurz vor dem Morgen
Klenk war während des Putsches in Berchtoldszell gewesen. Die Tänzerin Insarowa war bei ihm, es war ein vergnügtes Abendessen geworden, sie blieb die Nacht über. Am Morgen telefonierte er nach München, konnte keine Verbindung bekommen. Die Insarowa blieb den Morgen über, auch am Mittag, als an der Feldherrnhalle Erich Bornhaak zu Tode kam, war sie in Berchtoldszell. Da Verbindung immer noch nicht zu bekommen war, fuhr Klenk die Tänzerin schließlich selber nach München.
Nicht weit entfernt von Berchtoldszell kam um die Zeit, als sein Wagen ansprang, ein anderer Wagen an, der den Führer Rupert Kutzner in das Landhaus eines Freundes brachte, in ein gutes Versteck vor der Polizei.
Klenk gelangte in die Stadt, setzte die Insarowa ab, hörte Undeutliches, Deutlicheres, Deutliches. Lachte schallend, als er sah, wie jämmerlich der Putsch zusammengebrochen war, dem Kutzner, doch auch dem Flaucher zum Unsegen.
Hörte von Toten und Verwundeten. Fuhr hierhin, dorthin, suchte seinen Sohn, Simon, den Bams. Fand ihn nicht. Viele Gerüchte waren in der Stadt, bald den, bald jenen nannte man unter den Toten. Klenk brannte darauf, endlich eine genaue Liste einzusehen. Als er sie einsah, war sein erstes Gefühl Freude, weil er einen gewissen Namen nicht darauf fand. Sein zweites Gefühl war eine grimmig gehobene Betroffenheit, weil er den Namen Erich Bornhaak fand. Er dachte an den Feind, der in Berlin saß. Er hätte ihn gern hier in München gehabt. Er wäre geradewegs zu ihm gegangen. Hätte er gelächelt, weil Simon Staudacher lebte und Erich Bornhaak tot war? Er hätte nicht gelächelt. Sie wären einige Zeit zusammengesessen, wahrscheinlich hätten sie wenig gesprochen, oder auch gar nichts.
Er ging in den Herrenklub. Er hatte Lust, zu diesem 9. November einige Anmerkungen zu machen. Der Herr Generalstaatskommissar wird kaum im Herrenklub sein; der Herr Generalstaatskommissar kann sich nur im Panzerwagen in die Stadt trauen. Es ist fraglich, ob der Herr Generalstaatskommissar es so eilig haben wird, im Panzerwagen gerade in den Herrenklub zu fahren. Immerhin, einige Ohren wird Otto Klenk finden, in die es lohnt, seine Bemerkungen zu träufeln.
Er konnte aber solcher Ohren nur wenige entdecken. Wenn man ein bißchen auf Qualität sah, war da eigentlich nur Jacques Tüverlin. Er kannte ihn, der war ein Viech. Den zu beriechen, mit ihm zusammenzuhocken, mit ihm Glossen zum 9. November auszutauschen, das stand vielleicht dafür. Jacques Tüverlin seinesteils schien auch bereit dazu. Otto Klenk hatte damals den Plan gegen Krüger ausgeheckt, der für verschiedene Leute, auch für ihn, Tüverlin selber, unangenehm geworden war. Das hinderte nicht, daß ihm dieser große bayrische Mensch das Herz wärmte.
Im Herrenklub mußte man gedämpft reden, und überall gab es dumme Ohren. Tüverlin, wie Klenk vorschlug, man solle lieber in die Tiroler Weinstube gehen, war dabei.
In dem Nebenlokal, wo der Viertelliter Wein zehn Pfennigmehr kostete, bedeutete die Resi, die jetzt an Stelle der Zenzi zur Kassierin aufgerückt war, den beiden Herren, man müsse leider in zehn Minuten schließen, heute sei früher Polizeistunde. Allein die beiden setzten durch, daß sie bei heruntergelassenen Rolläden, bei ausgeschaltetem elektrischem Licht und bei Kerzenschein noch zusammensitzen konnten.
Sie tranken stark, betreut von der Resi, und sie sprachen sich aus. Klenk hatte Tüverlins Bücher angeregt gelesen und mißbilligte sie. Tüverlin hatte Klenks Gerechtigkeit angeregt verfolgt und mißbilligte sie. Sie gefielen sich. Es zeigte sich, daß ihnen auch der gleiche Wein gefiel. Sie konstatierten, daß man vom Leben nichts habe außer sich selber, und fanden beide,
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