Erfolg
mit diesen seinen Erlebnissen aufgedreht. War von einem nationalistischen Feldwebel angezeigt, wegen Kriegsverrats zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Nun waren zwar Kriegsverbrechen amnestiert, die bayrische Verordnung hatte aber die aus ehrloser Gesinnung begangenen Kriegsdelikte ausgenommen. Dem Renkmaier unterstellten die bayrischen Gerichte das Motiv der Ehrlosigkeit. Da dies nur mit Hilfe einer sehr gewundenen Konstruktion möglich war, erregte der Fall Aufsehen. Der Abgeordnete Dr. Geyer hielt darüber eine scharfe Rede im Parlament, alle Linkszeitungen im Reich waren erbittert, daß ein Delikt gegen den Krieg noch so lange Jahre nach Beendigung dieses Kriegs gebüßt werden sollte. Der Gefangene Renkmaier war stolz auf diese Erbitterung. Das Bewußtsein, daß man soviel von dem Unrecht sprach, das an ihm getan wurde, nährte seine Lebenskraft. Er sog sich voll damit, berauschte sich daran. Er war lang, schmal, blond, mit hoher Stirn, spitzer Nase, seine Haut dünn, farblos, die Haare schütter, der ganze Mensch wie aus Löschpapier. Er plapperte Martin Krüger von seinem Fall vor, eifrig, beflissen, mit seiner wässerigen Stimme. Verlangte, daß Martin Krüger dasInteressante seines Falles begreife, anerkenne. Der Mann Krüger tat es. Er ging ein auf den geschwätzigen, geltungssüchtigen Menschen, beschäftigte sich in seinen langen Nächten mit den Schilderungen, Wertungen des Renkmaier, gab andern Tages seinen Kommentar. Zum Entgelt hörte Leonhard Renkmaier mit gläubiger Aufmerksamkeit die Geschichten des Doktors mit an. Sie trotteten über den Hof, der glänzende Martin Krüger und der blasse, armselige Renkmaier, nahmen Anteil einer am andern, richteten sich aneinander auf. Es waren gute Stunden, wenn sie zusammen die kleine Runde des Hofes ausliefen, in der Sonne, zwischen den sechs eingemauerten Bäumen. Die sechs Bäume wurden zum Garten.
Es war, während Martin Krüger in Odelsberg saß, Sommer und Herbst geworden, Winter und Frühjahr, und es kam ein neuer Sommer. Johanna Krain war in Garmisch gewesen, hatte ihn geheiratet und lebte jetzt mit dem Kommerzienrat Hessreiter in Frankreich. Neue Flugzeuge waren konstruiert, der Ozean überflogen worden, auf Luftwellen sandte man jetzt Musik und Vorträge in jedes Haus. Naturgesetze, soziologische Gesetze waren entdeckt worden, Bilder gemalt, Bücher geschrieben, seine eigenen Bücher, überaltert, ihm schon fremd eroberten sich Frankreich, Spanien. Das oberschlesische Industriegebiet war zu einem großen Teil an Polen gefallen, der Kaiser Karl von Habsburg hatte einen tragikomischen Versuch gemacht, sein Reich wiederzuerobern, und war in Madeira gestorben. Die zerspaltenen sozialdemokratischen Parteien des Deutschen Reichs hatten sich wieder vereinigt. Die Insel Irland hatte eine selbständige Verwaltung erkämpft. Deutschland hatte mit seinen Besiegern in Cannes und später in Genua konferiert über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden. Das englische Protektorat in Ägypten war aufgehoben worden. Das Regime der Sowjets in Rußland hatte sich gefestigt, in Rapallo war ein Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion zustande gekommen. Die Mark war weiter gesunken, auf kaum mehr als den hundertstenTeil ihres Goldwerts, mit ihr die Lebenshaltung der Deutschen. Fünfundfünfzig Millionen von den sechzig Millionen Deutschen wurden nicht satt und litten Not an Kleidung und Hausrat.
Martin Krüger hatte von all diesen Dingen wenig erfahren, ihre Wirkung nur mittelbar gespürt. Jetzt, in diesem Frühsommer, hatte er von seinem alten Glanz manches wiederbekommen. Es war nicht leicht in jener Zeit, sich seinem Reiz zu entziehen. Seine Begierde war nicht häßlich, seine Sehnsucht nicht armselig, die Gewißheit, das Gehoffte zu erreichen, beschwingte ihn. Er war voll Anteil für alles, was um ihn geschah. War gefällig, geistreich, konnte gut lachen. Sein Einverständnis mit seinem Schicksal übertrug sich, erhob auch die anderen. Es ging etwas Strahlendes aus von dem graubraunen Mann, das alle spürten: der Arzt, die Wärter, sogar die Himmelblauen , deren Zuchthauszeit endlos war wie der blaue Himmel, die auf Lebenszeit Verurteilten.
In den Nächten freilich hielt der Glanz nicht vor. Die Nächte begannen damit, daß man am hellen Abend die Kleider vor die Tür der Zelle legen mußte. Man lag dann auf der Pritsche in einem kurzen Hemd, das kaum zur Scham reichte. Zwölf Stunden dauerte eine solche Zuchthausnacht. Zwölf Stunden
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