Erfolg
Zuchthaus nicht gerade gesundheitsfördernd wirkte, war ihm bekannt. Daß die meisten »Pensionäre« des Oberregierungsrats Förtsch zunächst über Störungen klagten, war ihm auch nicht fremd. Das gewöhnte man. Er klopfte und horchte den Krüger ab, meinte wohlwollend, fachmännisch überlegen, er könne nichts am Herzen finden. Schaute auf die Uhr, er war pressiert. Falls es übrigens, erklärte er, schon unter der Tür, doch das Herz sein sollte, dann bekäme Odelsberg dem Patienten sicher mehr als sein aufregendes Leben außerhalb derMauern. Über welchen Witz Krüger sowohl wie der Arzt gemütlich lachten.
War der Mann Krüger jetzt glänzend von Wesen, so blieben seine Briefe an Johanna blaß, ohne Schwung. Er trug großes Verlangen, ihr zu schreiben, wie es ihm zu Sinn war, aufgeräumt, voll Hoffnung. Allein es gelang nicht. Es mischten sich Sätze ein, die er nicht gut schreiben konnte und die der Direktor niemals hätte durchgehen lassen.
Martin Krüger war gepackt jetzt von einer fiebrigen Arbeitswut. Das Bild »Josef und seine Brüder« war ihm in die Tiefe gesunken, nicht mehr auch befaßte er sich mit dem eleganten Maler Alonso Cano. Hingegen nahm er jetzt vor die Aufzeichnungen, die er zu einer großen Studie über den Spanier Francisco José de Goya gemacht hatte. Es gelang ihm, sich Bücher zu beschaffen mit Reproduktionen von Bildern und Zeichnungen des Goya. In sich ein sog er die Geschichte des lebensgierigen, heftigen Mannes, der gut kannte die Schrecken der Kirche, des Krieges und der Justiz. Er sog ein, was der Spanier, als er alt und taub wurde, doch nicht minder lebensgierig, träumte und sich erspann, die Sueños und die Caprichos. Er sah die Blätter mit den an Händen und Füßen gefesselten Kerkersträflingen, die hirnlosen »Faultiere« mit den geschlossenen Augen und den zugesperrten Ohren, die dafür einen Säbel an der Seite und Wappenschilder auf der Brust haben. Die Bilder, die Zeichnungen, die Fresken, mit denen der wunderliche, wilde Greis sein Haus ausgemalt hat: den aus dem Nebel sich hebenden Riesen, der den lebendigen Mann zerkaut, die Bauern, die, schon bis an die Knie im Moor versunken, sich mit Knüppeln um ihren Grenzstein hauen, den vom Strom fortgeschwemmten Hund. Die Füsilierung der Madrider Straßenrevolutionäre, die Bilder vom Schlachtfeld, aus dem Zuchthaus, dem Irrenhaus. Keiner vor Martin Krüger hatte so wie er das ungeheuer Rebellische dieser Bilder gesehen. Die Reproduktionen halfen dem Mann im Zuchthaus, seinen ersten Eindruck zehnmal stärker wiederzuerzeugen. Er erinnerte sich an Dinge, die durch Jahre tot inihm gelegen waren, erinnerte sich der Säle und Kabinette des Prado-Museums in Madrid. Der schadhaften Parkettfliese, die unter ihm geknarrt hatte, als er das Bild beschaute der königlichen Familie mit den toten, spukhaften Stecknadelkopfaugen. Er versuchte, mechanisch nachzuziehen die sonderbaren Inschriften, die der Spanier unter seine Zeichnungen gesetzt hatte. Er erschrak, als er bemerkte, daß er das tagelang, nächtelang tat. In der Nacht, in die Luft hinein, malte er diese Inschriften, schrie immer wieder die Worte »Ich hab’s gesehen«, die der Spanier unter seine Radierungen von den Schrecken des Krieges gesetzt hat. Wiederholte des Spaniers Unterschrift »Nichts«, auch die Inschrift auf dem wüsten Blatt mit den Leichen »Dazu seid ihr geboren«. Die Bedrängnisse des Geschlechts verschwanden vor der wilden Lust an der Rebellion. Er lebte sich so ein in die Buchstaben des Goya, daß sie langsam seine eigenen verdrängten, daß er auch seine deutschen Sätze in den Zügen des Goya schrieb. Damals entstand für sein Goya-Buch das Kapitel »Wie lange noch?«, die fünf Seiten Prosa, die seither in allen revolutionären Schulbüchern stehen und zum Titel haben eben jene Worte, die der taube Alte geschrieben hat unter das Blatt mit dem leidenden, riesigen Kopf, auf dem die Ameisen der Verwesung wimmeln.
Einmal bat ihn der Regierungsrat Förtsch, er möge ihm vorlesen aus dem, was er da schreibe. Der Kaninchenmäulige verstand nicht recht, aber er erschrak. Er wollte verbieten, sein Mund ging rasch auf und ab, aber er fürchtete, sich zu blamieren, und er entfernte sich achselzuckend.
Jetzt, da Johanna im Ausland reiste, war unter Martins Besuchern Kaspar Pröckl der vertrauteste. Der junge Ingenieur war seit seiner Entlassung noch schwieriger geworden. Die neuerliche Wandlung Krügers verdroß ihn. Eine Zeitlang hatte der Mann Krüger
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