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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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schlafen konnte man nicht, wenn man den Tag über wenig Bewegung hatte. Die Zeit vor Mitternacht war die bessere; denn da hörte man noch Geräusch von der Ortschaft Odelsberg her, Lärm von Menschen, das Bellen eines Hundes, das sehr ferne Schnarren eines Grammophons oder vielleicht des Rundfunks, das Rattern eines Autos. Hernach blieb nur das Geräusch des Wächters, ein monotones Hörspiel. Aus den Geräuschen rätselte man sich zurecht: jetzt setzt sich der Wärter auf die Bank, jetzt zündet er seine Pfeife an, jetzt streckt sich sein Hund. Gleich wird das Tier einschlafen. Es ist auf den Mann dressiert, ein gutes Tier, doch schon ein wenig alt. Aha, da schnarcht der Hund schon. Jetzt ist es ganz still. Im Winter sehnt man sich nach dem Sommer, daß es früher heller werde, daß einmal ein Insektgegen das Fenster brumme. Im Sommer sehnt man sich nach dem Winter, daß man hören könne auf das Glucksen in den Heizröhren.
    Wenn es ganz still ist, quält es einen, daß man von dem Werk, das man gemacht hat, von dem Erfolg, der einem zufiel, von den Frauen, die an einem hängen, nicht mehr hat als ein Stückchen bedruckten oder beschriebenen Papiers. Man hat so herrliche Dinge besessen. Die Reue kratzt einen, daß man sie, solange man sie besaß, so wenig gespürt hat. Wenn Martin Krüger frei sein wird, wird er Gelegenheit haben, sie besser zu genießen. Vor einem Bild stehen, seine Wirkung schmecken, wissen, daß man diesen Geschmack andern übertragen kann. In seinem schönen Arbeitszimmer auf und ab laufen, einer appetitlichen, verständigen Sekretärin diktieren, die sich freut an jedem Satz, der sich einem formt. Reisen machen, die Wirkung kosten, die sein Name tut; denn jetzt ist man nicht nur der große Kunsthistoriker, auch der Märtyrer, der für seine Kunstüberzeugung gelitten hat. In einem schönen Raum sitzen, gut essen, ausgewählte Weine trinken. In einem bequemen Bett schlafen, mit einer gutriechenden, gutgewachsenen Frau. Er verzehrte sich in der Begierde dieser Dinge, malte sie sich aus. Schwitzte stark, schnaufte.
    In diesen Stunden nach Mitternacht, wenn es ganz still ist, quält die Bedrängnis des Geschlechts am meisten. Alle in diesem Haus leiden darunter. Man mischt, um die Begier zu mindern, der Nahrung Soda bei; das nimmt den Speisen den letzten Geschmack, aber es hilft nicht. In allen Zellen ringsum ist es das gleiche; jede zweite Klopfbotschaft, die Martin Krüger erhält, berichtet davon. Man verfällt, um seine Sinne abzureagieren, auf wunderliche Einfälle. Stellt aus Taschentüchern, Kleiderfetzen Puppen her, Weiberersatz. Jedes Ornament, die Buchstaben selbst werden zum geschlechtlichen Bild. In den stillen Nächten, schlaflos, phantasiert man sich Frauen vor. Aus den Briefen, die er erhält, reimt sich Martin Krüger die Leiber der Schreiberinnen zusammen. Grotesk vergrößern, verzerren Krampf und Begier alle Dinge des Geschlechts.In der Nacht seiner Zelle tanzen vor dem Manne Krüger die Genüsse seiner früheren Nächte. Aber das Wasser, vor Jahren getrunken, stillt nicht den Durst von heut.
    Endlich wird es hell. Jetzt sind es noch vier, noch drei, noch zwei Stunden, bis der Zuchthaustag beginnt. Ah, jetzt die schrille Glocke, jetzt geht der Tag an, jetzt wird es gut. Mit donnerndem Krach, rasch, einer nach dem andern, fliegen die Stahlriegel aller Zellen zurück, widerhallend in den kahlen Steingängen, so daß das Getöse nicht abreißt. Ursprünglich hat der jähe, scheußliche Wechsel von der Totenstille der Nacht zu dem krachenden Tag ihm die Nerven zerrissen. Jetzt freut er sich, daß wieder der Tag beginnt. Ja, fast freut er sich, daß er gezwungen ist, seine früheren Freuden noch länger zu entbehren. So größere Lust dann wird er haben, wenn er draußen ist.
    Er fühlte sich kräftig und glaubte nicht, daß seine Gesundheit leide unter seiner Haft. Zuerst hatte die scheußliche Luft der Zelle, der Gestank des Kübels ihn krank gemacht. Ein paarmal im Anfang, wenn er aus dem eklen Dunst des Hauses hinaustrat in die Frische des Spazierhofs, war er bewußtlos hingeschlagen. Jetzt hatten sich Haut und Lungen gewöhnt. Nur sein Herz spürte er ab und zu. Er schilderte dem Arzt anschaulich, wie er das Gefühl eines ungeheuren Drucks habe, ganz kurz nur, doch einer letzten Vernichtung. Der Dr. Ferdinand Gsell hörte sich diese Schilderung an. Er verarztete das Zuchthaus nebenamtlich, hatte seine Privatpraxis, einen Arbeitstag von vierzehn Stunden. Daß das Leben im

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