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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Grund gefunden; jetzt schwamm er wieder obenauf, plätscherte auf der Oberfläche, leicht, spielerisch, der alte Kunstgenüßling, seine offensichtliche Begabung nicht ausnutzend. Das Schicksal hatte ihn ins Gefängnisgeworfen mit deutlicher Mahnung, endlich einmal in die Tiefe zu stoßen. Doch er, bequem, faul, schenkte es sich. Er wurde wahrhaftig dick und glänzend selbst im Zuchthaus. Kaspar Pröckl setzte ihm zu. Zerpflückte, was Martin Krüger gemacht hatte, stieß ihn auf das, was er die wirklichen Probleme nannte, bewies ihm seine Faulheit. Martin Krüger in seiner überheblichen, beschwingten Zufriedenheit wollte ihn erst nicht an sich heranlassen; aber schließlich regte sich der Kunstmensch in ihm. Er verteidigte sich, griff Pröckl an. Begann sich selber zu ärgern. »Daß Sie auf den Kommunismus hereingefallen sind«, sagte er einmal zu Pröckl, »liegt einfach daran, daß Sie von Geburt auffallend wenig sozialen Instinkt mitgekriegt haben. Was für andere Instinkt ist, selbstverständlich, Schnee vom vergangenen Jahr, überrumpelt Sie durch seine Neuheit, durch seine wissenschaftliche Fassade. Sie sind ein armer Mensch. Sie können sich nicht einfühlen in andere, Sie können nicht mitfühlen mit anderen; darum suchen Sie sich das künstlich zu verschaffen. Sie sitzen hinter zehnmal dickeren Mauern als ich, Sie sind anormal egozentrisch, Ihr Autismus ist ein viel schlimmeres Zuchthaus als Odelsberg. Dazu sind Sie Puritaner. Ihnen fehlen die wichtigsten menschlichen Organe: genußfähige Sinne und ein mitleidendes Herz.« Der Maler Francisco Goya, fuhr er fort, denn der liege ihm am nächsten, sei gewiß ein Revolutionär gewesen, aber gerade weil er, mehr als die anderen, Mitleid und Genuß gespürt habe. Nichts sei an ihm gewesen von dem Puritanismus der heutigen Kommunisten und von ihrer armseligen verlogenen Talmiwissenschaftlichkeit. Und er las ihm vor das Kapitel »Wie lange noch?«. Kaspar Pröckl erblaßte vor Grimm, denn er konnte nicht verhindern, daß diese Seiten über Goya ihn anrührten. »Was wollen Sie?« sagte er zuletzt, sehr mundartlich, ihn aus seinen tiefliegenden, brennenden Augen haßerfüllt anstarrend. »Von Revolution, von dem wirklichen Goya verstehen Sie einen Dreck. Ihnen wird sogar Goya zu einem Leckerbissen, den Sie höchstens schmecken können.«
    Da lachte der Mann Krüger. Er lachte so vergnügt und herzlich, daß der Wärter erstaunt aufschaute. So wurde an diesem Ort selten gelacht. »Mein guter Junge«, sagte der Graubraune, »mein guter Junge.« Und er lachte schallend, fröhlich, klopfte ihm die Schultern. Kaspar Pröckl aber entfernte sich, ehe die Sprechzeit abgelaufen war, erbittert.
8
Von der Würde
    Der ganze Kaspar Pröckl stak in keiner guten Haut. Der betriebsame Müßiggang seit seiner Entlassung aus den Bayrischen Kraftfahrzeugwerken bekam ihm nicht. Er mußte als Rückgrat seines Lebens seine richtige Arbeit haben, mußte an seinen Konstruktionen basteln, werkeln. Er vermißte die üppigen Hilfsmittel der Fabrik, konnte sich an die dürftige Apparatur seines Zeichentischs nicht gewöhnen. Er hatte sich erbittert in einen wilden, vielfältig zerspaltenen Betrieb gestürzt, in Parteidiskussionen, höhnische Debatten mit Tüverlin über dessen Revue, in erneute, heftige Nachforschungen nach dem Maler Landholzer. Auch mit einem Zyklus von Balladen beschäftigte er sich, die die Umwandlung eines einzelnen in einen Massenmenschen in eindeutig naiven Bildern schaubar machen sollten. All das blieb Ersatz wirklicher Arbeit.
    Er wurde reizbarer, launischer. Hatte, ohne Verständnis für Anschauungen und Lebensweise seiner Zeitgenossen, unerquickliche Diskussionen mit Fremden, auf der Straßenbahn, im Café, Konflikte mit seinen Wirtsleuten, mit der Aufwartefrau. Bedürfnislos, durch Schmutz, schlechte Luft, schlechte Kost wenig gestört, mußte er trotzdem mehrmals das Logis wechseln und kam nirgends zur Ruhe. Seine finstere, despotische Art stieß viele ab. Dafür gab es einige, die der sonderbare Mensch mit den tief in die Stirn gewachsenen schwarzenHaaren, den starken Jochbogen, den schräg nach innen gekehrten, heftigen Augen vom ersten Augenblick an faszinierte. Die Anni Lechner zum Beispiel, obwohl viele lachten, wenn sie das saubere, handfeste Mädchen mit dem schlampigen, verwahrlosten Kerl zusammen sahen, ging jetzt schon zwei Jahre mit ihm. Frisch und eben von Aussehen, etwas füllig, proper von Gewand, war sie in der Gabelbergerstraße, in der

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