Erfolg
mit Politik zu tun hatte, war, seitdem dieser Klenk regierte, undurchsichtig geworden.
Dr. Geyer pflegte sich schlecht, rauchte viel, aß unregelmäßig, schlief wenig. Er hatte sich seit jenem Attentat einen rötlichen Vollbart stehenlassen, er zwinkerte nicht mehr so stark, sein Hinken war fast verschwunden. Wartend und gespannt verfolgte er alle Handlungen des Klenk. Vornächst zwar herrschte gesündere Wirtschaft und Ordnung im Lande Bayern, die Beziehungen zum Reich wurden vernünftiger, Eseleien der Patrioten wurden verhindert, bombastische Kundgebungen vermieden. Aber das konnte nicht dauern, ein böses Ende mußte folgen. Eine Welt der Diktatur, der Willkür, eine Welt ohne Gerechtigkeit war nicht denkbar, durfte nicht sein.
Seine Spannung straffte sich, als den Klenk Krankheit lahmlegte. Drei Tage erst, vier, dann so lange, daß sein Regiment ernstlich zu wackeln anfing. Der Anwalt zog sich zusammen, duckte sich, um hochzuschnellen, wartete. Mittels sophistischer Verknüpfungen stellte er Zusammenhänge her zwischen der Regierung des Klenk, der Hundevergiftung, seinem Jungen. Die Entwicklung des Klenk hing mit Erich zusammen. Alles, was rings geschah, bezog sich auf Erich.
In solchem Warten also traf ihn Johannas Anruf. Immer hatte ihn diese bayrische Frau an Ellis Bornhaak erinnert; jetzt, mit einem Ruck, machte ihre Stimme Verkapseltes aufspringen. Daß er mit Erich nicht weiterkam, lag an seiner Lauheit. Er hatte sich verliebt in sein theoretisches Manuskript und war lau geworden in vielen Fällen praktischen Unrechts. Zum Beispiel im Fall Krüger. Abergläubische Vorstellungen von Schuld und Strafe nebelten hoch in ihm. Weil er die Sache dieses Mannes Krüger nicht genügend weitergestoßen hatte, darum, mit Recht, wurde er gestraft an dem Jungen.
So kam ihm der Anruf Johannas wie ein Zeichen. Er bat sie in seine Privatwohnung. Sie traf ihn über Zeitungen, Akten, einem halbgeleerten Teller, in seinem unbehaglichen Zimmer. Auf dem Stuhl, auf dem der Junge gesessen war, saß nun die Frau. Der Anwalt beschaute sie, sah, daß ihre Festigkeit weniger fest, ihre Sicherheit weniger sicher war. Er selbst war nicht so sachlich wie sonst, er bat sie, rauchen zu dürfen, Beklommenheit war zwischen ihnen.
Johanna sah seine blauen, scharfen Augen, ihre Gedanken wollten abgleiten zu einem andern, sie mußte sich zwingen, an das zu denken, dessentwillen sie gekommen war. Sie habe versucht, erklärte sie, durch jene gesellschaftlichen Beziehungen zu wirken, auf die er sie hingewiesen habe. Sie habe mit Gott und der Welt gesprochen. Ja, wiederholte sie nachdenklich, nicht ohne Bitterkeit, mit Gott und der Welt, und sie dachte an Tüverlin, Pfisterer, den Justizminister Heinrodt, Frau von Radolny, den Kronprinzen Maximilian, den GeheimratBichler, den Kunsthistoriker Leclerc, an Hessreiter, an den Windigen. Sie klemmte die Oberlippe ein, schwieg, versank. Des Anwalts Blick verließ sie, suchte den Boden. Er gewahrte ihre Beine, kräftige, hellbestrumpfte Beine, die in guten, festen Schuhen staken, nicht so elegant und zierlich wie die Schuhe des jungen Kaufmanns Erich Bornhaak. »Es hat aber wohl nichts genützt«, sagte er nach einer Weile. »Nein, es hat nichts genützt«, erwiderte Johanna.
»Lieben Sie Tiere?« fragte er später, unvermittelt. »Ich hasse Hunde und Katzen«, sagte er. »Ich begreife nicht, wie man sich mit solchen Wesen umgeben will. Es spielt da jetzt eine große Affäre«, er schaute sie nicht an, »eine Sache mit vergifteten Hunden.« Johanna sah auf seinen Mund, der sich inmitten des rötlichen Bartes öffnete und schloß, wie selbständig, wie nicht zu dem sprechenden Mann gehörig. »Es spielen da auch politische Motive herein«, sagte der Anwalt Geyer. Johanna, atmend, schluckend, fragte: »Der Mord an dem Abgeordneten G.?« Der Anwalt, weiß im Gesicht, stieß den Kopf gegen sie. »Wie kommen Sie darauf?« Johanna, erschreckt, nach einer Pause, nachdenklich, sagte: »Es ist wohl nur, weil ich von der Vergiftung und von der Sache mit dem Abgeordneten G. in ein und dem gleichen Zeitungsblatt las.« – »So?« fragte der Anwalt. »Wo lasen Sie?« – »Ich weiß es nicht genau«, sagte Johanna. »Ich glaube, es war in Paris.« – »Ja«, sagte der Anwalt, »Sie waren ja auch in Paris.«
Endlich kam er auf den Fall Krüger. Setzte, vielleicht geschah es zur eigenen Beruhigung, Johanna unerbittlich auseinander, was für ungeheure Schwierigkeiten einem Wiederaufnahmeverfahren
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