Erfolg
Musik: auf ihn, und dies war sein Triumph, schon nicht mehr.
Das Bild schloß mit großer Munterkeit und allgemeiner Zuversicht. Als es sogleich wiederholt werden sollte, waren alle mit Freude dabei. Da aber trat still und traurig der Komiker Balthasar Hierl an die Rampe und erklärte, er gehe jetzt nach Haus. Er werde auch morgen nicht kommen und übermorgen nicht und zur Premiere nicht. Er sei krank. Er habe immer gesagt, man müsse ihm das Bier richtig wärmen, und jetzt sei er krank und, das spüre er deutlich, auf lange Zeit und gehe nach Haus. Die auf der Bühne, verblüfft, drängten näher, der Mann, der das aus Papiermaché hergestellte Hinterteil des Stiers bereithielt, stand mit offenem Mund. Alle schauten gespannt auf Pfaundler. Der kam langsam, überlegend, den Steg zur Bühne herauf, sprach lange, leise auf Balthasar Hierl ein. Man sah, daß Hierl wenig erwiderte. Er hörte das gewandte, vielwortige Gerede Pfaundlers an mit traurigem, verstocktem Gesicht, zuckte die Achseln. Sagte immer das gleiche: »Ja, sehen Sie, da habe ich eine andere Weltanschauung« oder »Also, ich geh jetzt.« Entfernte sich.
Tüverlin hatte sich mit keinem Wort eingemischt. Er hatte den Komiker Hierl längst erkannt, er überraschte ihn nicht. Eher war er froh, daß jetzt die Angelegenheit für ihn endgültig aus war. Herrn Pfaundler andernteils, wiewohl er mit dem Komiker Hierl den besten Pfeiler der ganzen Angelegenheit verlor, war diese Lösung fast willkommen. Jetzt war entschieden, daß der damische Titel »Kasperl im Klassenkampf« gestrichen werden mußte: jetzt blieb, schicksalsgewollt, »Höher geht’s nimmer«. Noch während er auf den KomikerHierl einsprach, hatte er bereits eine Notiz dieses Inhalts für die Zeitungen entworfen. Energisch, voll Tatkraft, wandte er sich an den noch immer ratlos dastehenden Inspizienten, was denn sei. Man probiere natürlich das nächste Bild. Er schimpfte, trieb zur Eile. Umgebaut wurde, ein wüstes Getümmel setzte ein von Arbeitern, Kulissen, Schauspielern, Versatzstücken, Musikern, Weißbemäntelten aller Art. In fünf Minuten entstand die Dekoration zur nächsten Szene, dem Bild »Stilleben«, in dem die nackten Mädchen Gerichte verkörperten. Schon warteten sie, bereit, mit gezierten Schritten über die Bühne zu gehen, zu einer albernen Musik. Eine trug Hummerscheren statt der Arme, eine andere gigantische Fasanenfedern über dem Gesäß, wieder eine klappte Austernschalen auf und zu; im übrigen waren sie nackt. Das Ganze steuerte darauf los, daß die Bühne am Schluß des Bildes einen riesigen, lockenden, gedeckten Tisch darstellte, bestehend aus nackten Frauen und ins Kolossalische vergrößerten, leckeren Speisen. Es war ein Bild, rein im Stil von »Höher geht’s nimmer« und ganz nach dem Herzen Herrn Pfaundlers. Alles auf der Bühne stand bereit. »Auf geht’s«, sagte Herr Pfaundler, das Klingelzeichen des Inspizienten schrillte.
Tüverlin mittlerweile war weggegangen. Gähnend, faul, den Hut in der Hand, sommerlichen Wind um das nackte Gesicht, strich er durch die heißen Straßen, ziellos. Er war zufrieden, daß es so gekommen war, und schon wieder geneigt, die Welt gut zu finden. Er dachte viel an Johanna. Nicht gerade daß er mit ihr schlafen wollte, das heißt, das wollte er eigentlich auch: aber vor allem wollte er sie um sich haben. Mit ihr schimpfen, über sich und über die andern. Ihre Ansichten haben, ihren Rat. Das alte, einfältige Wort Herzlichkeit und Vertrauen wäre angebracht, dachte er. Es wäre angenehm, dachte er, wenn jetzt Johanna neben ihm ginge.
Johanna war den Tag vorher in München angekommen. Sie saß in der geschlossenen Autodroschke II A 8763, die eben vorbeifuhr. Aber das wußte Jacques Tüverlin nicht.
17
Konsultation in Gegenwart eines Unsichtbaren
Johanna, nach München zurückgekehrt, ging auf und ab in ihrem großen Zimmer zwischen hellen, hübschen Wänden, stattlichen Möbeln, geordneten Büchergestellen, zwischen der Apparatur ihres graphologischen Betriebs, dem umfangreichen Schreibtisch, der Schreibmaschine. Unter ihren Fenstern, jenseits des Kais, floß hellgrün, fröhlich die Isar.
Sie hielt sich fern von ihren Münchner Bekannten, arbeitete. Dr. Geyer war auf einige Tage nach Norddeutschland gefahren, nach Berlin, nach Leipzig; man erwartete ihn erst für den Anfang der nächsten Woche zurück. Gut tat das, jetzt allein zu sein. Sie fühlte sich in besonderem Maße zurückgekehrt. Das mit den gesellschaftlichen
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