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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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nicht, stritt nicht mit Pfaundler herum, der mit schlechtem Gewissen – denn er wußte genau, wie gut ursprünglich der Text war – bei jeder Szene auf einen Ausbruch des Dichters wartete. Aber es geschah nur, daß Tüverlins Schultern immer runder wurden. »Sind Sie müde?« fragte der Artist Bianchini I. »Haben Sie etwas zu bemerken, Herr Tüverlin?« fragte ab und zu, gewollt beiläufig, Herr Pfaundler. Nein, Herr Tüverlin hatte nichts zu bemerken. »Fahren Sie nur fort«, sagte er; vielleicht klang seine Stimme heute besonders gequetscht.
    Bob Richards, der Instrumentenimitator, erzählte eine Anekdote von einer Revue, die fünfhundertmal gespielt worden war. Alle hätten die fünfhundert Aufführungen überstanden, nur nicht der Elefant, der sei nach der zweihundertsten Vorstellung krepiert.
    Es kam die Stierkampfszene, der letzte Rest, der noch von Tüverlins Plan und Wesen in dem Spiel stak. Tüverlin hatte den Stier zu einem Geschöpf gemacht, gehetzt, dumpfig, zum Untergang bestimmt, zu einer Kreatur voll Kraft, nicht unsympathisch, der eben nur Gerissenheit fehlte, ohne die in jener Epoche schwer zu leben war. Die nackten Mädchen waren jetzt Stierfechterinnen. Sie trugen Lanzen, bewimpelte Speere, sie trugen die kurzen, bestickten Jäckchen; darunter kam aufreizend die nackte Brust hervor. Die Schauspielerin Kläre Holz war der Matador. Die Verse, die sie zu sprechen hatte, waren geglückt, dünn und böse, sie hatten selbst Kaspar Pröckl und Benno Lechner gefallen, und Kläre Holz sprach sie mit viel Verve. Umsonst. Pfaundlers Vorsicht hatte auch diese Szene verhunzt. Das Politische war entgiftet, alle Schärfe, aller Witz fort. Was blieb, war Ulk. Man mußte lachen, ja; Kasperl-Hierl, der unter Stoff und Papiermaché den Stier darstellte, war wirklich sehr komisch, in vielen kunstvollen und kostbaren Abwandlungen, täppisch, rührend, pfiffig, dummschlau, grotesk. Pfaundler auch hatte sich angestrengt,hatte eine bunte, bei aller gewollten Schwerfälligkeit lustige Sache zustande gebracht. Aber sie lief leer, ihr geheimer und doch so klarer Sinn fehlte. Nun war von Tüverlin in der ganzen Revue keine Spur mehr.
    Als das Bild sich seinem Ende näherte und Tüverlin gehen wollte, nicht zornig, nur sehr müde, tauchte auf einmal eine Melodie auf, eine kleine, freche Marschmelodie, und Tüverlin ging nicht. Die Melodie, sonderbar gemischt aus spanischem und negerischem Temperament, mohrenhaft wild und spanisch elegant, wippend, einfangend den Reiz der Stierspiele, der sich zusammensetzte aus eleganter Pose und Lust am Töten, hatte durchaus nichts zu tun mit Tüverlins Text und seinen Absichten; aber sie sprang heraus aus der wackeren, lärmenden Durchschnittsmusik bisher. Die Bühne sah anders aus, der Stier sah anders aus, die schlanken Glieder der Mädchen wurden lebendig, bewegten sich menschlich. Die kleine Musik wurde größer, stärker. Die Stimmen der Mädchen, ihre gemeinen Straßenstimmen, wurden zu einem wilden, eleganten Gesang. Auf einmal wieder hatte die Revue Sinn. Der kecke Jubel der zwei herausgeschmetterten Takte bemächtigte sich der Ohren, des Blutes, machte schlaffe Rücken gerade, veränderte den Gang der Beine, der Herzen.
    In der letzten Reihe des Zuschauerraums in der Tracht der Kunstzigeuner saß der Mann, der diese Musik gemacht hatte, jener weiland Revolutionär, der, jetzt musikalischer Clown, seinerzeit die Autonomie des reproduzierenden Künstlers in der Musik verkündet hatte. In St. Pauli, dem Hafenviertel der Stadt Hamburg, hatte er die Melodie empfangen; ein Matrosenmädchen, von einer südlichen Mutter geboren, hatte die Takte vor sich hin geplärrt. Durch eine elegante Änderung dann im Rhythmus schuf er sie um zu dem, was sie heute war. Die beiden anderen Komponisten der Revue, die offiziellen, deren Namen auf dem Programm stehen sollten, sahen scheel. Der ehemalige Revolutionär, abschätzig, glücklich, saß im Dunkel. Er wußte, daß nun diese Melodie ein Jahr lang über den Erdkreis gehen werde, verbreitet von fünftausendJazzkapellen, von dreihunderttausend Schallplatten, vom Rundfunk, daß Millionen Menschen ihre Funktionen mit diesen Takten begleiten würden. Er war vor der Zeit alt und verkommen. Seine Beteiligung an der Revuemusik hatte er gegen ein niedriges Pauschalhonorar verkauft, sein äußeres Los wird sich durch den Erfolg seiner Melodie nicht verbessern. Er war nicht traurig darüber. Er lächelte. Auf alle Menschen in dem großen Raum wirkte seine

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