Erfolg
die Front geschickt worden. Aus dem Krieg zurückkehrend, fanden sie die guten Posten mit schlechten Leuten besetzt. Kamen bestenfalls als Fahrmeister unter. Kastengeist überall, strenge gesellschaftliche Distanz zwischen Chefingenieur und Fahrmeister, zwischen dem und den Arbeitern. Ein rein dekorativer Typ regiert, schöpft Ruhm und Raum ab: der Fahringenieur . Der fährt Schönheitskonkurrenzen, repräsentiert in der Gesellschaft. In der glänzend organisierten deutschen Automobilindustrie fehlte nichts als das Zentrum: der Konstrukteur. Man modernisierte überall, nur nicht am Hebel des Ganzen. Statt weniger schöpferischer Techniker hielt man sich zahllose kleine Talente, baute statt weniger Schlager einen Haufen mittelmäßiger Typen. Amerika fabrizierte nach 117 Modellen 2 026 000 Wagen. Deutschland verwendete für 27 000 Wagen 152 Modelle.
Kaspar Pröckl, gewillt, die Bitterkeit seines Herzens nicht verrauchen zu lassen, suchte das Telegramm hervor, das er nach der Publikation dieses Aufsatzes von Reindl erhalten hatte: »Bravo. Nagel auf den Kopf getroffen. Ersehe mit Freuden, daß Sie wieder zu mir wollen. Kehre zurück, alles vergeben. Gruß Reindl.« Er überlas das Telegramm, dessen Text er auswendig kannte, den Klebestreifen mit den getippten Buchstaben, genau, gespannt, als läse er es zum erstenmal. Er hatte natürlich nicht darauf geantwortet, auch keinem Menschen davon erzählt. Die Anni zum Beispiel hätte ihm bestimmt geraten, anzunehmen. Hätte ihn bedrängt mit ihrem gesunden Menschenverstand. Gesunder Menschenverstand ist eine gute Sache: aber der Reindl ist ein ausgeschämter Bursche. »Horrorsanguinis?« In das Weltbild Kaspar Pröckls gehörte gesunder Menschenverstand wie der Dotter ins Ei: aber wenn er sich das blasse, fleischige Gesicht des Fünften Evangelisten vorstellte, packte ihn Zorn und Würde , und der gesunde Menschenverstand rann ihm aus. Er schmiß das Telegramm in die Schublade zurück, sperrte sie sorgfältig ab.
Er mochte nicht arbeiten, mochte auch die Anni nicht sehen, die jetzt jeden Augenblick kommen konnte. Das einzige vielleicht, worauf er Appetit hatte, war ein einsilbiges, mürrisches Gespräch. Er machte sich auf den Weg in die »Hundskugel«, um dort den Benno Lechner zu treffen.
Der Benno Lechner aber kam an diesem Abend nicht in die »Hundskugel«. Er wartete, da die Revueprobe unvermutet früh zu Ende war, vor dem Büro der Anni, um mit der Schwester einen Abendspaziergang zu machen, vielleicht irgendwo im Freien mit ihr zu essen. Er wollte einmal allein mit ihr reden, ohne den Genossen Pröckl. Der Beni nahm es dem Genossen Pröckl nicht übel, daß der in letzter Zeit noch weniger handsam war als sonst: aber für die Anni, die quasi tagaus, tagein mit ihm hauste, war es manchmal schon recht bitter. Rettungslos bürgerlich, konnte sie, was wirklich an dem Pröckl war, was er für ein Mensch und Genosse war, unmöglich ganz begreifen. Daß sie ihn trotzdem liebte und so lang mit ihm auskam, war anständig von ihr. Sie verdiente einen Händedruck, ein aufmunterndes Wort.
Das Büro der Anni war in einer Fabrik weit draußen im Norden. Der Beni stand in der Abendsonne, wartend. In fünf Minuten muß die Anni kommen. Aus marxistischen Lehrbüchern, aus Unterredungen mit dem Genossen Pröckl hat der Benno Lechner gelernt, daß Sexualdinge peripher sind, nicht an das Zentrum des Menschen rühren. Liebe und all der Kram herum, das ist eine Erfindung der Bourgeoisie, um die Ausgebeuteten vom Wesentlichen, vom Ökonomischen abzulenken. Das war natürlich in der Theorie richtig, immerhin hatte er Verständnis auch für eine andre Auffassung. Ihm selber zum Beispiel wäre es schmerzhaft, wenn etwa die KassierinZenzi aus seinem Dasein verschwände. Sie war nicht übermäßig gescheit, die Zenzi; ihr eine richtige Weltanschauung beizubringen, war aussichtslos; aber ein Verlaß war auf sie, praktisch war sie auch. Geht es ihm dreckig, wird sie bestimmt zu ihm halten.
Endlich war das Büro aus. Die Anni war gleich dabei, als er sie aufforderte, mit ihm in den Englischen Garten zu gehen und dort irgendwo zu Abend zu essen. Nett anzuschauen, in hellem, leichtem Kleid, ging sie neben dem blonden, festen Bruder langsam durch den trägen Sommerabend.
Der Beni erzählte. Er fühlte sich wohl als Beleuchter bei der Revue. Man mußte da zwar heftig durcheinander arbeiten, ungleichmäßig, bald einen ganzen Tag überhaupt nichts, dann wieder eine ganze Nacht hindurch, und das
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