Erfolg
Beziehungen war eine faule Sache gewesen, sie hätte sich da nicht hineinbegeben sollen. Es begann mit Hessreiter und führte schließlich noch zu dem Windigen. Nein, dieser brackige, laue Betrieb paßte ihr nicht, sie konnte da nicht atmen. War sie nicht während der ganzen Zeit mit Hessreiter in einer Art Betäubung herumgegangen, in seltsamer Benommenheit? Jetzt war sie wieder in der reinen Tagesluft. Sie knackte mit den Fingern, vergnügt, lächelte, hatte eine Mordslust zu arbeiten. Aufträge waren in Menge da, für drei Monate, wenn sie wollte.
Noch waren ihre Nägel mondförmig; doch die Arbeit ließ ihr nicht die Zeit, sie wie in Frankreich zu pflegen. Die Schreibmaschine griff Nagel und Haut an; der mit so viel Mühe hergestellte blasse, milchige Glanz verlor sich, die feine Haut an der Nagelwurzel wurde rauh. Während ihres Lebens in der Gesellschaft hatte sie sich angewöhnt, Konversation zu machen, rasch, wenn auch nicht eben tief zu antworten. Jetzt fiel sie in ihre alte Gepflogenheit zurück, oft nach langer Pause erst zu erwidern, unvermittelt auf Alteszurückzukommen, da anzusetzen, wo man eine halbe Stunde früher aufgehört hatte, als hätte sie diese halbe Stunde nicht zugehört. Auch in ihrer Tracht wurde sie die frühere Johanna; denn die modischen Kleider, die sie aus Frankreich mitbrachte, fielen in der durch weite Schichten ländlich eingestellten Stadt unangenehm auf.
Sie arbeitete. Früher hatte sie auf Intuition gewartet. Der gefährliche, süße und schmerzhafte Moment blitzhaft gesicherter Erkenntnis war Lohn und Gipfel ihrer Arbeit gewesen. Jetzt war, was sie machte, mühsamer, weniger blendend, doch ehrlicher. Sie fand ihren Blick auf Menschen weiter geworden.
Sechs Tage lebte sie so in München, arbeitend, das Haus kaum verlassend, befriedigt. Schlief gut. In der siebenten Nacht erkannte sie, daß solches Leben nur ein aussichtsloser Umweg war, Flucht vor einem Gesicht, und sie hatte Furcht vor ihrem Schicksal.
Sie rief, es war wie eine Abschlagszahlung an einen unsichtbaren Mahner, wieder im Büro des Anwalts an. Ja, er war soeben zurückgekehrt. Ungewohnt beflissen, fast erfreut, sagte er ihr schon für die nächste Stunde eine Unterredung zu.
Dr. Geyer hatte jetzt seine Praxis im ganzen Umfang wieder aufgenommen. Er führte viele Prozesse, scharfe Prozesse, verdiente Geld, ausländisches, vollwertiges. War er von jeher ein unermüdlicher Arbeiter gewesen, so schüttelte man jetzt in seinem Büro die Köpfe über die zahllosen, großen Prozesse, die er übernahm. Die Haushälterin Agnes verzehrte sich, machtlos erbittert. Sie wußte auf die Stunde genau, wann dieser wüste Betrieb begonnen hatte. Es war gewesen, als der junge Mensch da war, der Floh, der Blutaussauger, der Geldquetscher. Solange es um ihn selber ging, hatte sich der Doktor nicht ums Geld geschert. Jetzt häufte er, raffte, lief auf die Banken. Lebte dabei sehr dürftig. Rechnete nach, was sie für seine Mahlzeiten ausgab, für seine Wäsche. Gelbgesichtig, mit irren Augen, lief die Haushälterin Agnes herum, verwildert. Kündigte dem Dr. Geyer. Er erwiderte nichts.
Der Junge war nicht wiedergekommen. Dr. Geyer hatte die Spur verloren. Kämpfte mit der Versuchung, ein Detektivbüro mit Nachforschungen zu betrauen, unterließ es. Die Manuskripte »Geschichte des Unrechts« und »Recht, Politik, Geschichte« lagen nebeneinander, geordnet, gebündelt, geschnürt. Verstaubten. Der Anwalt wartete. Führte Prozesse, große Prozesse. Die Geldaufschwemmung, der tolle Wechsel von heutigem Wert zu morgiger Wertlosigkeit, züchtete ein wüstes Spekulantentum hoch, schuf auf allen Gebieten des Besitzrechts Wirrnis und Trübung, so daß ein befahrener Anwalt viel zu tun hatte. Im Lauf von nicht vielen Wochen war Dr. Geyer reich. Kam der Junge ein zweites Mal, dann brauchte er nicht zu knausern. Er hatte erfahren, daß da eine Hundevergiftungsgeschichte spielte, in die dieser von Dellmaier verwickelt war. Sein Herz engte sich, weitete sich. Vielleicht wird der Junge jetzt kommen, Hilfe von ihm verlangen, in seiner beiläufigen, schnodderigen, aufreizenden, geliebten Weise. Dr. Geyer wartete. Aber der Junge blieb fort, schien verschollen. Vielleicht, sicher, weil auch er mit dieser Vergiftungsaffäre zu tun hatte. Es war ein peinliches Zwielicht um die Angelegenheit. Er konnte nichts Genaues ermitteln. Die Behörde schien sich nicht im klaren, ob sie vertuschen sollte oder groß aufziehen. Politik spielte herein. Alles, was
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