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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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entgegenstünden. Die schriftliche eidesstattliche Versicherung, die man nach langen Mühen der Witwe Ratzenberger ausgequetscht habe, sei so gut wie wertlos. Die furchtsame Frau habe ihre ersten klaren mündlichen Angaben, als sie schriftlich fixiert werden sollten, dermaßen verklausuliert, daß man das Geständnis des toten Chauffeurs als Traumvision einer nicht Zurechnungsfähigen ausdeuten könne. Er habe Johanna bereits auseinandergesetzt, wie geringe Chancenim allgemeinen ein Antrag auf Wiederaufnahme habe. Wie ungünstig die Gesetzgebung sei, wie formal erschwert jeder Schritt, wie erschwert der Nachweis der gesetzlichen Voraussetzungen, wie abgeneigt die Gerichte. Er stellte ihr anheim, sich darüber zu informieren aus der Schrift seines Kollegen Alsberg »Justizirrtum und Wiederaufnahme«, einem klassischen Buch, das leider bis jetzt auf die Gesetzgebung nicht eingewirkt habe. Dazu komme, daß Krüger, in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen, von der Regierung Wiedergutmachung seiner widerrechtlichen Entlassung aus dem Staatsdienst fordern könnte. Ob sie es für aussichtsreich halte, um eine solche Wiedergutmachung zu kämpfen gegen diesen verfluchten bayrischen Staat, der die Witwe seines ermordeten Ministerpräsidenten um eine bettelhafte Pension prozessieren lasse, während er zugebe, daß der Mörder Direktor einer staatlich subventionierten Gesellschaft sei?
    Johanna hatte die drei Furchen in der Stirn, hielt das große Buch des Rechtsanwalts Alsberg in der Hand, das Dr. Geyer ihr gegeben hatte. Ob denn die Versetzung des Landesgerichtsdirektors Hartl nicht von Einfluß sei, fragte sie nach einer Weile. Wenn sie sich recht erinnere, habe Dr. Geyer sie seinerzeit darüber aufgeklärt, daß nach der merkwürdig verdrehten Bestimmung der Strafprozeßordnung das gleiche Gericht, das das Urteil gesprochen hatte, zu entscheiden habe über die Wiederaufnahme. Wenn also jetzt der Hartl weg sei …
    »Glauben Sie«, unterbrach sie mit leidenschaftlichem Hohn der Anwalt, »der Nachfolger des Herrn Dr. Hartl wird seinem mächtigen Vorgänger ein Fehlurteil unterschieben?« Er verstummte, seine dünnhäutigen Hände zitterten, er schien sehr unter der Hitze zu leiden. Dennoch, setzte er dann von neuem an, und Johanna sah, daß dies zu sagen ihm hart fiel, dennoch öffne, wie er ihr geschrieben habe, gerade diese niederträchtige Versetzung des Hartl einen neuen Weg. Vielleicht, wenn man dem Hartl andeute, man werde den Wiederaufnahmeantrag zurückziehen, daß man ihn durch solche Schmeichelei einfangen könne. Er habe ja jetzt das Gnadenreferat.Verzichte man auf Wiederaufnahme, auf Rehabilitierung, anerkenne man gewissermaßen das Urteil des Hartl, vielleicht befürworte er dann die Begnadigung. Das sei ein entwürdigender Handel; doch wenn Johanna ernstlich wolle, werde er bei dem Hartl sondieren.
    Johanna sah, daß der Anwalt sich diesen Vorschlag abringen mußte, daß er darunter litt. Sie überlegte. Ja, was wollte sie ernstlich ? Zuerst hatte sie kämpfen wollen. Ebenso wie vermutlich der Anwalt wollte, daß das Unrecht besiegt am Boden liege, hatte sie gewollt, daß Martin aus Schlamm und Dreck strahlend heraustauche. Wollte sie jetzt schlicht, daß Martin möglichst bald frei werde? Sie mühte sich, sein Gesicht, seinen Gang, seine Hände aus ihrer Erinnerung herauszuholen. Doch ihre Erinnerung war widerspenstig, der frühere Martin und der graubraune flossen ineinander. Wahrhaftig, so lange hatte sie ihn nicht gesehen, daß sie sich sein Gesicht nicht mehr vorstellen konnte. Sie blickte betroffen vor sich nieder. Sah ihre Hände. Sie schämte sich plötzlich, daß ihre Hände in Paris so gepflegt gewesen waren. »Es war Ihnen doch sehr gut bekannt, daß ich auch in Paris war«, sagte sie auf einmal trotzig und wußte nicht, daß sie es sagte. Der Anwalt sah überrascht auf. Johanna errötete. »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Das mit der Begnadigung oder der Rehabilitierung brauche ich mir nicht lange zu überlegen. Wenn es auf mich ankommt, ich möchte natürlich nicht, daß Martin noch zwei Jahre zwischen den sechs Bäumen sitzt.« Zwischen den sechs Bäumen , sagte sie, und der Anwalt, trotzdem er auf die sechs Bäume von Odelsberg nie geachtet hatte, wußte deutlich, was sie meinte. »Ich möchte von Herzen, daß Martin so bald wie möglich frei ist«, sagte sie klar und eindringlich. Sie richtete ihre großen, grauen Augen auf ihn, den ganzen Kopf mitdrehend. Der Anwalt zwinkerte stark, sah

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