Erfolg
Revolution. Nicht ein Meuterer und Rebell sei er, sondern der Wiederhersteller der alten Ordnung, die gestört worden sei durch Meuterer und Rebellen. Hatte nicht der Generalstaatskommissar genau wie er die Reichsregierung beseitigen, durch ein antiparlamentarisches Direktorium ersetzen wollen? Nichts anderes gesagt und getan hatte der Regierungschef als das, wofür jetzt er, Kutzner, auf der Anklagebank saß. Nur deshalb hatte er nicht auf Flaucher gewartet, sondern vor ihm losgeschlagen, weil eben er, Kutzner, der geborene, gottgewollte Führer war. Staatskunst kann man nicht lernen. Wenn ein Mann weiß, daß er eine Sache kann, dann darf er nicht auf einen andern warten, bloß weil der im Amt ist, dann darf er nicht bescheiden sein. Er hat seinem Vaterland einen Dienst tun, hat seine geschichtliche Mission erfüllen wollen. Manche seiner Mitarbeiter sind dabei elend umgekommen, er selber hat sich den Arm verstaucht: jetzt stellt man ihn vor Gericht, bemakelt ihn als Verräter. Er glühte, er sprach voll echten Zornes.
Tüverlin überdachte, was Kutzner sprach. Es war das Problem des Hochverrats. Ein Staatsstreich, der mißglückte, war Hochverrat, ein Staatsstreich, der glückte, war Recht, wirkte Recht und machte die bisherigen Rechtsinhaber zu Hochverrätern. Dieser Mann Kutzner wollte nicht zur Kenntnis nehmen,daß die Republik Tatsache war. Er behauptete, und aus dieser Behauptung erklärte er sein Handeln, die Revolution nach dem Krieg sei erfolglos gewesen.
Es redete aber Rupert Kutzner vier Stunden lang. Er genoß diese Stunden wie einer, der fast erstickt war, die neue Luft. Reden war der Sinn seiner Existenz. Den Kopf über dem hohen, steifen Kragen reckte er, stand stramm wie ein Soldat beim Rapport, den langen Rock geschlossen. Wahrte Haltung. Vergaß, noch so hingerissen, nicht, die Männer, von denen er sprach, bei ihren tönenden Titeln zu nennen. Es war ihm sichtlich eine Erhebung, daß da so viele Exzellenzen, Staatskommissare, Generale, Minister waren, die alle er in Bewegung gesetzt hatte.
So hohl das war, was er, immer das gleiche, vorbrachte, Rupert Kutzner wirkte, solange er sprach, nicht lächerlich. Im Gegenteil, wie dieser Mann seinen Sturz und Zusammenbruch mit weiten Bewegungen und langhallenden Worten garnierte, das war großartig.
Der Lächerliche, der Verächtliche war der Zeuge Franz Flaucher. Der war der wirkliche Angeklagte. Er hatte in entscheidender Stunde den Kutzner schmählich verraten, die große Idee von hinten erdolcht, und jetzt saß er hier und wollte es nicht gewesen sein und drückte sich. Das war die allgemeine Meinung.
Zwei Wochen dauerte der Prozeß. Zwei Wochen hindurch hackten die Angeklagten und ihre Verteidiger mit hämischen Fragen auf den gestürzten Generalstaatskommissar ein. Sie wollten erweisen, daß er gewillt gewesen sei, mit oder ohne Kutzner die Berliner Regierung durch Staatsstreich zu stürzen und eine bayrische Diktatur an ihre Stelle zu setzen. Daß er das gleiche habe tun wollen wie Kutzner, nur eben erst am 12., nicht schon am 9. November. Daß, wenn Kutzners Tätigkeit Verrat war, Flauchers ganze Regierungstätigkeit auch Verrat gewesen sei. Die Hintermänner des Flaucher, die heimlichen Regenten, waren ihnen nicht erreichbar: um so schonungsloser häuften sie Hohn, Haß, Verachtung auf denMann, der ihnen erreichbar war, auf den Feigling und Verräter, auf den Zeugen Franz Flaucher.
»Warum«, fragten sie, »warum haben Sie die Männer nicht verhaften lassen, deren Verhaftung die Reichsregierung befahl? Warum haben Sie Reichsgesetze für Bayern außer Kraft gesetzt? Warum haben Sie Reichsbankgold zurückgehalten? Mit welchem Recht haben Sie die bayrische Reichswehr als Treuhänder des Reichs in Pflicht genommen? Wer hat Sie zum Treuhänder gemacht?« Flaucher hockte da, verstockt, schwieg, erklärte, er könne sich nicht erinnern, er verweigere die Aussage, das Amtsgeheimnis verbiete ihm, zu antworten. Ringsum zuckte man die Achseln, lachte höhnisch. Er schwieg.
Der vierte Sohn des Konzipienten des Kgl. Notars von Landshut hatte viele Demütigungen kosten müssen während seiner langsamen Karriere, als Student durch hochfahrende Kommilitonen, als Beamter durch herrschsüchtige Vorgesetzte, als Minister durch den unernsten, protzigen Klenk. Dann aber hatte er triumphiert, Kutzner war vor ihm auf den Knien gelegen, seine gewünschte Stunde war gekommen. Er hatte geglaubt, sie sei bezahlt mit der Schmach seines bisherigen Lebens, aber es
Weitere Kostenlose Bücher