Erfolg
zeigte sich, daß er sie jetzt erst zu bezahlen hatte. Es war eine große Versuchung, der frechen, höhnischen Bagage hier im Saal hinzureiben, wie es wirklich war, darzutun, daß er gehandelt hatte als treuer Soldat Höhergestellter, daß er jetzt hier hockte als Statthalter anderer, gottgewollter Herren. Aber das eben war der Dienst, den diese gottgewollten Herren von ihm verlangten, daß er das Maul halte, daß er sich darbiete der Schmach, die eigentlich sie hätte treffen müssen. Hatte er sich früher angefüllt mit der Süßigkeit seiner Sendung, so pumpte er sich jetzt voll mit ihrer Bitterkeit.
Zwei Wochen hindurch saß er so auf seinem Zeugenstuhl, den massigen, viereckigen Schädel geduckt, schweigsam, unbehilflich, sich manchmal reibend zwischen Hals und Kragen. Wenn der Führer sprach von dem verächtlichen Verrat, den man an ihm begangen habe, dann spritzte die Verachtungdes ganzen Saales über den plumpen Mann auf dem Zeugenstuhl. Manche waren von diesem Schauspiel mehr angezogen als von der Darbietung Rupert Kutzners. Der Maler Greiderer zum Beispiel, der jetzt auf dem Land lebte, kurbelte sein ramponiertes grünes Auto an, das bereits, weil es noch lief, als Museumsgegenstand galt, und fuhr in die Stadt, nur um sich den gestürzten Generalstaatskommissar anzuschauen. Wie er dahockte, überdeckt mit höhnischen, schmachvollen Fragen, ein Haufen Unglück. Mochten die Feinde ihn noch so sehr kratzen und beißen, er zuckte nicht, gab nicht mehr an. Wißbegierig studierte der Greiderer den duldenden Flaucher. Er malte jetzt an einem großen Bild, das einen müden, verwundeten Stier zeigte, wie er an der Barriere steht, Wasser lassend, und nicht mehr in die Arena will. Der Greiderer, in dem Gerichtssaal in der Infanterieschule, kam auf seine Rechnung. Er fand eine Menge Nuancen. Zwei Wochen saß so der Zeuge Flaucher, verbockt, bösartig, und sammelte in seine Brust die Spieße, sie von anderen abzuwehren.
Kutzner aber und die Seinen sammelten alles Licht auf sich. Wagte man, gegen sie aufzumucken, so drohten sie mit hinterhältiger Freundlichkeit Enthüllungen an. Der ganze Gerichtshof mußte ihnen als Beleuchter dienen. Der öffentliche Ankläger wurde klein und kleiner. Immer öfter mußte er sich entschuldigen, schweigen, den Verteidigern das Feld überlassen. Sein Plädoyer war ein Hymnus mehr auf die patriotischen Verdienste Kutzners und Vesemanns als eine Anklage ihrer Tat. Er beantragte niedrige Festungsstrafen. Sämtliche Angeklagten, in ihrem Schlußwort, erklärten, sie würden ihre Tat, die leider gescheitert sei an dem Wortbruch des ehrgeizigen Gesellen Flaucher, jederzeit wiederholen. Die Weltgeschichte, erklärte Kutzner, spreche ihn frei, die Weltgeschichte, erklärte General Vesemann, schicke Männer, die für ihr Vaterland gekämpft haben, nicht auf Festung, sondern nach Walhall.
Der § 81 des Deutschen Reichsstrafgesetzbuches lautet: »Mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft wird bestraft, wer es unternimmt, die Verfassungdes Deutschen Reiches oder eines deutschen Landes gewaltsam zu ändern.« Das Gericht sprach den General Vesemann frei, die andern Angeklagten verurteilte es zu Festungshaft von einem Jahr bis zu fünf Jahren mit einer Bewährungsfrist, die entweder sogleich eintrat oder im äußersten Fall nach sechs Monaten. Außerdem verurteilte es Rupert Kutzner zu einer Geldstrafe von zweihundert Mark.
Nach der Verkündung des Urteils erhoben sich die Zuhörer und brachten den Angeklagten stürmische Huldigungen dar. Auch von außen kam Jubelgeschrei. Der Führer trat ans Fenster, zeigte sich den Begeisterten. General Vesemann hatte einen weiten Weg zu fahren von der Infanterieschule, wo die Verhandlung stattgefunden hatte, bis zu seinem Landhaus in der südlichen Villenvorstadt. Der ganze Weg war gesäumt mit Huldigenden. Das Auto des Generals war geschmückt mit Blumengirlanden; am Kühler, triumphierend, wehte die Fahne mit dem indischen Fruchtbarkeitsemblem.
13
Johanna Krains Museum
Es waren seit dem jämmerlichen Ende des Mannes Krüger elf Monate um, und es kam ein neuer Frühling. Deutschland hatte sich beruhigt, gefestigt. Der Versuch der Rheinlande, sich vom Reich zu separieren, war gescheitert. Der Kampf mit Frankreich um das Ruhrgebiet hatte mit einem Wirtschaftsabkommen geendet. Es war von den Großmächten eine Sachverständigenkommission unter dem Vorsitz eines gewissen Generals Dawes bestellt worden, um einen vernünftigen
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