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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Reparationsplan zu entwerfen. Die Reichsmark war stabilisiert. Der Dollar kostete 4,20 Mark wie vor dem Krieg.
    Auch in Bayern trat Ruhe ein. Der Sturz Kutzners bewirkte nur wenig Änderung. Die Patrioten waren zu weit gegangen,jetzt hatten sie ihre Watschen weg, waren gedämpft. Die Regierung, nach dem Prozeß, zeigte dem besiegten Feind Milde. Dem geschädigten Wirt des Kapuzinerbräu ersetzte sie den nicht bezahlten Konsum der Patrioten an Bier und Würsten. Den Linksparteien gegenüber blieb sie hart wie zuvor. Die Roten sollten nicht glauben, daß jetzt etwa sie das Maul aufreißen dürften. Die kurze Haft Rupert Kutzners war Erholung mehr als Strafe: die Arbeiter, die bei der von den Patrioten entfesselten Sendlinger Schlacht festgenommen waren, wurden ausgiebig verurteilt, die Urteile streng vollstreckt.
    Johanna Krain achtete auf diese Ereignisse nur, soweit sie verknüpft werden konnten mit dem Kampf für den toten Martin Krüger. Denn dieser Kampf, trotz ihrer Anstrengungen, war im Versanden. Das Werk Martin Krügers wurde groß und strahlend, immer mehr Leute redeten von seinem Werk. Aber immer weniger Leute redeten von dem Manne Krüger, seinem Leben und seinem Tod, und langsam verloren sich auch die letzten, die ihr bei ihrem Kampfe halfen. Es blieb, wollte sie sich nichts vorlügen, nur ein einziger Mensch, durch den der Mann Krüger noch in der Welt war: sie.
    Nur durch sie, durch sie aber war er in der Welt. Sie war zu lau gewesen, solang er lebte, jetzt wenigstens wollte sie nicht lau sein. Je heftiger sie sich sein Bild zurückrief, je dringlicher sie sich mit dem Toten befaßt, so lebendiger wird er. Sie spürt selber wieder vom Herzen heraufkriechen, ihren Hals, ihre Schultern packen jenes pressende Gefühl der Vernichtung.
    »Ich hab’s gesehen«, steht unter ein paar wüsten Greueln, die der Maler Goya aufgezeichnet hat. »Ich hab’s gesehen«, heißt ein Kapitel in Martin Krügers Buch. Daß jemand etwas gesehen hat, ist ein primitives, aber schlagendes Argument. Wer gesehen hat, was sie sah, der hat die verdammte Pflicht, es zu sagen.
    Am Tag, da der Tod Martin Krügers sich jährte, brachte der »Vaterländische Anzeiger« der Wahrhaft Deutschen einen Aufsatz zum Fall Krüger. Man müsse es einmal laut sagen,hieß es darin, daß Mensch nicht gleich Mensch sei. Dieser degenerierte, entsittlichte Mann Martin Krüger lasse die Wahrhaft Deutschen völlig kalt. Das ganze Berliner Geschrei werde bloß gemacht, um die deutsche Justiz zu unterhöhlen. Sie, die Wahrhaft Deutschen, könnten nur lachen über die Salonapostel, die plötzlich ihr Herz für diesen Mann entdeckten. »Wir erklären«, schloß der Aufsatz, »der roten Berliner Presse und sämtlichen Humanitätsaspiranten vom Kurfürstendamm laut, deutsch und klar: Kocht euch euren Martin Krüger sauer.«
    Johanna Krain las den Aufsatz. Die Toten sollen das Maul halten, hatte vor einem Jahr ein Verantwortlicher angeordnet. Diese hier waren noch deutlicher. Johanna verkrustete sich immer mehr. Der Tote soll nicht das Maul halten. Sie wird Zeugnis ablegen, wird erzwingen, daß er ganz lebendig wird. Sie spürt: wenn sie den Toten reden macht, dann wird ein großer Teil Schuld von ihr abfallen.
    Sie zersann sich den Kopf, wie sie das anstellen könnte. Eine sichere Gelegenheit hatte sie vor sich. Der Förtsch hatte sie verklagt, weil sie ihm damals in großer Öffentlichkeit ins Gesicht gesagt hatte, er sei ein Lump. Der Prozeß wurde immer wieder vertagt; aber ewig wird man ihn nicht vertagen können. Einmal wird es an dem sein, daß sie reden darf. Sie hat gelesen, was alles der Kutzner gesagt hat, wie man den hat reden lassen. Auch sie wird reden, und daß ihnen die Ohren weh tun. Martin Krügers Schicksal sollte reißen an den Herzen der Menschen.
    Sie war besessen von ihrem Plan. Die Stummheit des Toten bohrte an ihr, wenn sie aufstand und wenn sie sich niederlegte. Sie war eine Frau von mittleren Gaben, mit einem Alltagsgesicht, doch verbissen in eine Idee. Sie ging herum wie früher, ungeschminkt, ungepudert, mit geknotetem Haar. Sie hatte viele Aufträge, und sie arbeitete viel. Sie war, wenn sie mit den Menschen sprach, sehr ruhig. Innen war sie ausgehöhlt von ihrem wilden Verlangen, hinzutreten vor die Welt und zu schreien.
    Sie sah zu, wie man mit jeder Woche mehr sprach vom »Goya«, von der »Spanischen Malerei«, weniger von Odelsberg. Es darf nicht sein, daß die begangene Gemeinheit vergessen wird und versinkt. Hingemacht hat

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