Erfolg
als er an ihr. Bestrebt, Ideen und Pläne, für welche die Zeit kaum bereit war, mit Gewalt durchzusetzen, hatte er für solche Nebendinge wie Manieren keine Muße. Und ihre Mutter gar, lieber Gott! Die bequeme Frau, zu kleinbürgerlichem Klatsch geneigt, hatte ab und zu wilde Versuche gemacht, ihr die eigenen, willkürlich zusammengestapelten Umgangsformen beizubringen, um dann ebenso rasch wieder davon abzulassen. Es war für Johannas Erziehung nur von Vorteil gewesen, daß ihr die zweite, späte Verheiratung der Mutter, mit dem Charcutier Lederer, Gelegenheit gegeben hatte, endgültig mit ihr zu brechen. Wenn sie daran dachte, wie die alternde Frau lebte, mit hundert klatschsüchtigen Weibern sich anfreundend, sich verzankend, faul, geschäftig, lamentierend, nein, viel hätte sie von ihr nicht lernen können. Von Kinderstube konnte schwerlich die Rede sein.
Johanna betrachtete die Nägel ihrer kurzen, großporigen Hand. Sie waren nicht sehr gepflegt. Einmal hatte sie ihre Hände einem Maniküremädchen übergeben. Mit Widerwillen. Es war zuwider, sich die Nägel von einer Fremden zurechtschneiden, schnipseln, färben zu lassen. Immerhin, so grob und viereckig brauchten sie nicht zu sein.
Sie war an ihrer Station angelangt, stieg ab, ging ein paarkurze Minuten durch ziemlich dunkle Straßen. Da lag Herrn Hessreiters Haus, versteckt hinter einer Mauer und alten Kastanienbäumen, am Rand des Englischen Gartens. Niedrig, altmodisch, irgendein Hofbeamter mochte es gebaut haben im achtzehnten Jahrhundert. Ein Diener führte sie durch umständliche Korridore. In der Raumgestaltung betont altväterisch, war das Haus ausgerüstet mit den Bequemlichkeiten der letzten Jahre. Johanna mutete das eigensinnige, behagliche Gebilde ein bißchen komisch, doch nicht ungefällig an.
Herr Hessreiter begrüßte sie herzlich, wortreich, ihre beiden Hände nehmend. Er sah in seinem Hause noch fülliger, eleganter aus, er paßte hinein wie der Krebs in seine Schale. Die braunen Augen schlau und schleierig in dem fleischigen Gesicht, meinte er, er habe eine Überraschung für sie; doch zuerst wolle man zu Abend essen.
Er machte behagliches Gespräch mit vielen versponnenen, leicht albernen, liebenswürdigen Späßen. Er sprach die gleiche Mundart wie sie, gebrauchte die gleichen Worte. Sie verstanden sich leicht. Er erzählte von seiner keramischen Fabrik, und daß das eine geteilte Freude sei. Es wäre schön, wenn man nur Kunst machen könnte. Aber die Leute wollen es nicht, sie lassen einen nicht. Überhaupt mit der Kunststadt München , ein schöner Schwindel. Wie sie jetzt wieder die Feldherrnhalle verschandelt haben. Die ganze Zeit war er neugierig, was hinter dem großen Gerüst stecke, mit dem sie die Hinterwand verkleidet haben. Jetzt ist es also heraus. Sie haben die Wand ausgeschmückt mit scheußlichen, gelben Blechschildern, verziert mit eisernen Kreuzen, für jede der verlorenen Provinzen ein Blechschild, und daran haben sie bunte Kränze aufgehängt. Als ob sie den schönen Bau nicht genügend verhunzt hätten mit den schreitenden Löwen und dem Armeedenkmal. Er sei ein guter Münchner, aber bei dieser Barbarei mache er nicht mit. Er plane jetzt zum Beispiel, trotzdem es geschäftlich ganz aussichtslos sei, für seine keramische Fabrik einige ganz merkwürdige Sachen von einem jungen, unbekannten Bildhauer, den er entdeckt habe, eineSerie »Stiergefecht« unter anderem. Später dann, gelegentlich, ging er auf den Prozeß Krüger ein. Es ergab sich, daß er im Verlauf des Prozesses viele von ihr nicht bemerkte kleine Züge minutiös angeschaut und bewahrt hatte, die er ihr jetzt wie unter einem Vergrößerungsglas deutlich machen konnte.
Gegen Ende des kennerisch zusammengestellten Mahles wurde Herr Hessreiter dringend am Telefon verlangt. Er kam verlegen zurück. Eine liebe und verehrte Freundin, teilte er Johanna mit, wolle ihn noch diesen Abend mit einer größeren Gesellschaft aufsuchen. Der Dame, die jetzt den größten Teil ihrer Zeit auf ihrer Besitzung am Starnberger See zubringe, habe er eine Überraschung versprochen, die gleiche übrigens, die er auch ihr zeigen wolle. Nun nehme die Dame, diesen Abend unvermutet in der Stadt, die Gelegenheit wahr, mit einigen Freunden die versprochene Überraschung zu besichtigen. Die Dame heiße von Radolny. Er hoffe, Fräulein Krain werde sich durch neue Gäste nicht stören lassen. Johanna, resolut, erklärte, gerne wolle sie bleiben. Sie schaute Herrn Hessreiter an, hielt
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