Erfolg
Elektrizität, seine Lederhosen, seine Bildersammlungen, sein Fasching und sein Bier. Es sei gewachsene, organisch bayrische Gerechtigkeit. Recht und Ethik, behaupte ein gewisser norddeutscher Philosoph namens Immanuel Kant, stünden außer jeden Verhältnisses: Recht und Boden aber, Recht und Klima, Recht und Volk, das meine er, der Otto Klenk aus München, die seien zweieinig, nicht zu trennen. Es sei nicht ausgeschlossen, dies sage er vertraulich, als Mensch, nicht als Beamter, daß der Dr. Krüger keinen Meineid geschworen habe. Es sei überhaupt aus mannigfachen Gründen ein fragwürdiges Beginnen, den Eid zu schützen, und er habe für den Mann Krüger volles Verständnis. Vielleicht wäre es im Sinn einer reinlichen Justizpflege richtiger, wenn er, Klenk, persönlich hinginge und sagte: »Du, Martin Krüger, bist schädlich für das Land Bayern, ich mußdich also bedauerlicherweise erschießen.« So, wie die Dinge nun einmal liegen, sei er, Klenk, der festen Meinung, seine bayrische Gerechtigkeit sei die beste unter allen hier denkbaren. Er übernehme die Verantwortung. Gerechtigkeit sei das Fundament der Staaten; aber gerade darum müsse eines jeden Staates Gerechtigkeit aus dem gleichen Stoff sein wie eben der Staat selbst. Er vertrete die Justizhoheit seines Landes mit Überzeugung und aus ganzem Herzen. Und während Dr. Geyer noch weiter zurückwich, sich geradezu in die Wand hineinpressend, schloß der Minister: der Herr Abgeordnete möge ohne Sorge sein. Er, Klenk, schlafe sehr gut, während der Dr. Krüger und der Uhrmacher Triebschener zwischen Kerkermauern schmachteten.
Er sagte: schmachteten ; er lutschte an seiner Wurst, er saß rittlings auf seinem Stuhl, in seiner Lodenjoppe, und seine braunen, lustigen Augen schauten wohlwollend und vertraulich in die dicken Brillengläser, hinter denen blau und scharf die Augen des Anwalts jeder seiner Bewegungen folgten. Den, wie er die ruhigen Worte hörte, die groß, dick, mit dialektischem Anklang aus dem kräftigen, kauenden Mund des obersten Justizbeamten dieses Landes kamen, packte Abscheu, Scham, Ekel dergestalt, daß er die drängenden Sätze hinunterschluckte. Er sagte, er fühle sich noch nicht gesund genug zu einer philosophischen Debatte, dankte dem Herrn Justizminister für seine Aufschlüsse, ging fort, beschwerlich auf seinen Stock gestützt. Klenk, ohne Lächeln, schob den Teller mit den Wurstresten beiseite, machte sich an seine Papiere.
6
Eine Legitimation muß sein
Ein gewisser Herr Georg Durnbacher hatte Johanna Krain um ein graphologisches Gutachten gebeten. Johanna war der Mann nicht sympathisch. Sie entschuldigte sich mit Arbeitsüberlastung.Herr Durnbacher drängte. Schließlich lieferte Johanna das Gutachten. Sie umschrieb vorsichtig die unangenehmen Eigenschaften, die sie aus der Schriftprobe herausgelesen hatte, bezeichnete den Schreiber als einen Mann von verwinkelter Phantasie, geneigt, sich selber und anderen etwas vorzumachen.
Es erwies sich, daß ein Regierungsrat Tucher Urheber der Schriftprobe war. Leidenschaftlicher Anhänger des alten politischen Systems und somit Gegner Johanna Krains und des Mannes Krüger, hatte er nicht eigentlich seine Schrift, sondern die Wissenschaft Johannas erproben wollen. Ihm bewies diese Analyse, die einen untadeligen höheren Staatsbeamten mit verschleierten Worten als Schwindler kennzeichnete, daß die sogenannte Kunst Johannas Schwindel war. Der Regierungsrat zeigte also die entlarvte Graphologin wegen Gaukelei an. Dieses Delikt gab es in der deutschen Gesetzgebung nicht; doch die bayrische Polizei behielt sich das Recht vor, gewisse Handlungen unter dieser Bezeichnung zu verfolgen. Es wurde also ein Verfahren wegen Gaukelei gegen Johanna Krain eingeleitet und ihr die Ausübung ihrer graphologischen Tätigkeit bis auf weiteres untersagt.
Dr. Geyer, als Johanna mit ihm den Fall besprach, schien merkwürdig müde und nicht sehr interessiert. Er nahm, während er sprach, die Brille ab, blinzelte, schloß wohl auch die Augen. Diese Sache, setzte er auseinander, wie alle Dinge, die sie und Martin Krüger beträfen, werde längst nicht mehr auf juristischem, sondern auf politischem Gebiet entschieden. Und da gebe es, da weder sie noch er Macht hätten, nur jene gesellschaftlichen Einwirkungen, von denen er schon gesprochen habe. Daß man ernstlich gegen sie vorgehen wolle, glaube er übrigens nicht. Es handle sich wohl um eine kleine Warnung; man wolle ihr zeigen, daß man Waffen gegen sie in
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