Erich Kastner
so galoppierten sie unaufhaltsam weiter. Das Pferd behauptete, seine Kugellager seien heißgelaufen. Das war aber übertrieben.
Den Straßengraben entlang ratterten Kindereisenbahnen. Manchmal schnappte eine Weiche. Dann pfiffen die Lokomotiven, und die Züge fuhren in den Wald hinein, über dem die Luftballons wogten. Vor einem Haus aus
Stanniolpapier saßen fünf schottische Terrier, schwiegen und rauchten dicke Schokoladenzigarren.
»Laß mich runter!« schrie Konrad. »Ich muß die Hunde streicheln!«
Aber Ringelhuth sagte:
»Nimm mal den Stock!«
Und als der Junge das tat, hielt der Onkel ihm mit beiden Händen die Augen zu, damit er nichts mehr sehen konnte.
»Los, Kaballo!« rief Ringelhuth, und nun fegten sie wie die wilde Jagd über die Spielzeugheide.
»So«, sagte der Onkel endlich, »nun darfst du wieder gucken.«
Das Pferd lief Trab. Konrad sah sich um. Die Spielzeugheide war zu Ende. Die Luftballonwipfel leuchteten von ferne. Große bunte Papierdrachen flogen drüber hin.
»Schade«, murmelte Konrad.
Da bremste das Pferd, stand still und sagte: »Alles aussteigen!«
Ringelhuth und Konrad kletterten herunter und betrachteten sich die Gegend. Sie hielten vor einem umfangreichen Gebäude, das mit Märchenfiguren bemalt war. Und aus den Fenstern schauten viele Kinder und winkten.
»Offenbar ein Ferienheim«, meinte der Onkel. »Von wegen!« sagte Konrad. »Da steht was ganz andres dran!« Und er las laut vor, was über dem Portal stand:
»Ha!« rief Konrad. »Da seht ihr’s wieder mal, wie gut es ist, daß ihr mich mithabt!« Er warf sich in die Brust, daß es knackte, wandelte stolz vor den beiden her und trat als erster ins Haus. Sie kamen in eine Art Büro. Hinter der Barriere stand ein netter Junge, gab Konrad die Hand und fragte, wen er da mitbrächte.
»Ein Pferd, das vorzüglich Rollschuh fährt«, erklärte Konrad, »und meinen Onkel. Er ist Apotheker und heißt Ringelhuth.«
»Ist er sehr unausstehlich?« fragte der fremde Junge. »Danke nein«, sagte Konrad. »Es geht.«
»Na, wir werden ihn schon kleinkriegen«, meinte der
Junge. »Wir haben hier noch ganz andere Herrschaften auf die Rolle genommen«, und dann drückte er auf einen Knopf.
»Wieso?« fragte Konrad verwundert.
Aber da kam schon eine Schar Kinder angestürzt und schob den Onkel durch eine Tür, über der »Nur für Erwachsene« stand.
»Was soll denn das heißen?« fragte Konrad. »Wir wollen doch nach der Südsee!«
»Später, später«, sagte der Junge. Er nahm die Personalien auf. Dann wurden Konrad und das Pferd durch eine andere Tür geschickt. »Fragt nach der Schule!« rief ihnen, der Junge nach. »Dort findet ihr den Onkel wieder. Er wird nur erst umgezogen.«
»Verstehen Sie das?« fragte Konrad das Pferd, als sie auf der Straße standen. »Umziehen soll sich der Onkel Ringelhuth?«
»Abwarten und Tee trinken«, gab das Pferd zur Antwort,
Die Straße war sehr belebt. Man sah Jungen, die Aktenmappen unterm Arm und Zylinderhüte auf den Köpfen trugen. Man sah kleine Mädchen, die in modernen Kostü
men einherspazierten und Einkäufe erledigten. Man sah überhaupt nur Kinder.
»Verzeihung!« sagte Konrad und hielt einen Jungen fest, der gerade in ein Auto steigen wollte. »Hör einmal, gibt es denn bei euch keine Erwachsenen?«
»Doch«, antwortete der Junge. »Aber die Erwachsenen sind noch in der Schule.«
Dann stieg er in sein Auto, nickte Konrad zu und rief: »Ich muß rasch zur Börse.« Und schon brauste er um die Ecke.
»Mir bleibt die Spucke weg«, sagte Konrad.
»Es geht auch ohne«, erwiderte das Pferd.
»Was haben denn die Erwachsenen in der Schule zu suchen und die Kinder auf der Börse?« fragte Konrad.
Das Pferd zuckte die Achseln und rollte weiter. Der Junge konnte kaum folgen. Glücklicherweise war die Schule in der Nähe. »Den schwererziehbaren Eltern gewidmet« stand darüber.
»Na, gehen wir rasch hinein«, sagte das Pferd.
Sie gingen hinein. Hinter einem Schalter saß ein kleines Mädchen und wollte wissen, wen sie suchten.
»Einen gewissen Herrn Ringelhuth«, antwortete das Pferd.
Das kleine Mädchen blätterte in einem Oktavheft und sagte schließlich:
»Ringelhuth? Der ist im Anfängerkurs.«
»Was macht er denn dort?« fragte Konrad.
»Dort wird er erzogen«, gab das Schaltermädchen zur Antwort.
»Ich werde verrückt!« rief Konrad. »Ich will sofort meinen Onkel wiederhaben!«
»Zimmer 28«, sagte das Mädchen streng und schloß den Schalter.
Nun stiegen das Pferd und der
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