Erich Kastner
buckligen Burschen, der mir einen Streich nach dem anderen spielte! Er war bei Hofe, bis ich auftauchte, außerordentlich verhätschelt worden. Denn er maß nur sechs Meter. Doch mit mir verglichen war er viel zu groß. Das wurmte ihn.
So warf er mich einmal, beim Nachtisch, in das Sahnekännchen, und ich wäre unweigerlich ertrunken, wenn mich Glumda nicht herausgefischt hätte. Die dicke süße Sahne hatte mir die Augen verklebt und den Anzug ruiniert, und der Halunke wollte sich kranklachen. Das Lachen verging ihm erst, als ihn die Königin zwang, die Sahne bis zum letzten Tropfen auszutrinken. Nun lachten die anderen bei Tische. Und so wurde seine Wut auf mich noch größer. Er war es auch, der den Wespenschwarm ins Zimmer ließ. Und ich hatte es einzig meiner Geistesgegenwart und meinem Degen zu verdanken, daß ich drei der fliegenden Raubtiere erlegte und den Rest in die Flucht schlug. Ein andermal stopfte er mich, ohne daß es jemand bemerkte, beim Essen in einen hohlen Markknochen. Und wenn Glumda nicht meine Schuhe gesehen hätte, die aus dem Knochen herausschauten, wäre ich sicher, samt dem Knochen, von einem der Jagdhunde gefressen worden.
Auch an der Geschichte mit dem Affen des Küchenjungen trug natürlich der Zwerg die Schuld, obwohl man sie ihm nicht nachweisen konnte. Nur er konnte die Tür zu Glumdas Zimmer leise geöffnet und das unheimliche Tier hereingelassen haben. Ehe das Kind es sich versah, hatte mich der Affe gepackt und kletterte mit mir aus dem Fenster und, an der Regenrinne empor, aufs Dach. Glumda rannte hilferufend in den Palasthof. Und als nun die Lakaien, Mägde und Wachposten zusammenliefen, schrien und drohten, sprang der Affe vor lauter Angst von einem Dach aufs andere. Erst als der Küchenjunge, von einer Dachluke aus, das Tier mit einem Stück Zucker lockte, ließ es sich am Kragen packen. Der Arzt verordnete mir zehn Tage Bettruhe, und die Königin verordnete dem Zwerg zehn Tage Stubenarrest bei Wasser und Brot. Außerdem wurde ihm für ein Jahr die Teilnahme an der königlichen Mittagstafel verboten.
Obgleich man den Zwerg bestrafte und mich schützte, spürte ich, daß man sich insgeheim über mich lustig machte. Sogar der König und die Königin schienen nicht zu begreifen, welche Angst einen Menschen packen muß, der von einem acht Meter großen haarigen Affen über die Dächer geschleppt wird, die mehr als einen halben Kilometer von der Erde entfernt sind!
Ihre Späße kränkten mich täglich mehr, und je mehr ich mich kränkte, um so stärker wuchs mein Heimweh nach England, nach Mary und den Kindern. Geradezu beleidigt war ich, als der König an einem Mittwoch bei Tisch erzählte, daß er für mich eine Frau suche! Überall an der Küste stünden Wachposten und gäben acht, ob wieder einmal ein Boot mit Menschen landen und eine Frau darunter sein werde, die so klein sei wie ich selber. Die Königin war Feuer und Flamme und klatschte vor Vergnügen in die Riesenhände. Sie sprachen über mich, als sei ich ein Kanarienvogel, der keinen Appetit hat und nicht mehr singt, weil ihm ein Weibchen fehlt! Ich ersuchte die Majestäten, den leichtfertigen Plan aufzugeben. Ich sei kein Kanarienroller, sondern ein englischer Schiffsarzt! Auch Glumda fand den Plan ungehörig.
DAS HAUS IM MEER
Als ich zwei Jahre in Brobdingnag zugebracht hatte, unternahm der König eine Besichtigungsreise durch die Provinzen, und auch ich durfte mitkommen. Zu Beginn fand vor der Hauptstadt eine Parade statt, und ich gestehe, nie eine imposantere Darbietung gesehen zu haben. Fünfundzwanzigtausend Mann zu Fuß und sechstausend Mann Kavallerie exerzierten, daß die Erde dröhnte. Die Stiefel und die Hufe donnerten im Takt, und auch der Blitz fehlte nicht. Er zuckte über den Himmel, als die Reiter vor dem König ihre sechstausend Säbel zogen und hoch durch die Luft schwangen. Es war mein Abschied von der Hauptstadt. Doch das wußte ich damals noch nicht. Auch die Königin und zwei Prinzessinnen machten die Reise mit, und natürlich Glumda, die mich manchmal aus meinem Haus herausholte und, von der Kutsche aus, den Kindern am Wegrand zeigte. Eigentlich hatte der Leibarzt verbieten wollen, daß Glumda mitkäme, weil sie kränklich war. Es hing mit dem Wachstum zusammen. Als ich sie kennenlernte, war sie zehn Meter groß gewesen, und jetzt maß sie zwölf! So etwas strengt den Körper begreiflicherweise sehr an. Nun, das Mädchen hatte sich dem Verbot widersetzt und wich nicht von meiner Seite. Bis auf
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