Erik der Wikinger
wieder, und sie kämpfte nicht dagegen an, auch wenn sie ein wenig weinte.
»Mich trifft nur wenig Schuld«, flüsterte sie, »wenn du mich an deine Brust drückst und mich küßt, denn du bist stärker als ich. Björn muß dies erkennen, wenn seine toten Augen noch etwas sehen können. Doch für dich, Erik, ist es die größte Schmach von allen.«
»Sag nichts, mein Schatz. Sag nichts, sondern küsse mich«, sprach Erik, »denn du weißt sehr wohl, daß du mich so sehr liebst, wie ich dich liebe.«
Nun gab Gudruda am Ende nach und küßte den Mann, den sie viele Jahre nicht geküßt hatte.
»Laß mich los, Erik«, sagte sie. »Ich möchte mit dir sprechen.« Und er ließ sie los, wenn auch nur unwillig.
»Höre«, fuhr sie fort und verbarg das Gesicht in den Händen. »Beim Leben und beim Tod, es ist wahr, ich liebe dich noch ebenso sehr wie früher – wie sehr, wirst du vielleicht niemals wissen. Obwohl Björn durch deine Hand umgekommen ist, liebe ich dich; aber ich weiß nicht, wie ich dich heiraten kann, ohne große Schande über mich zu bringen. Nur eins weiß ich genau – wir können nicht auf Island bleiben. Wenn du mich wirklich liebst, dann höre auf meine Worte. Kehre zum Moosberg zurück, Erik, und überwintere dort in Sicherheit, denn auf dem Moosberg werden sie dich nicht ergreifen können. Und wenn du dann noch willens bist, werde ich im Frühjahr ein Schiff ausrüsten, denn jetzt habe ich keins, und überdies ist es zum Segeln zu spät. Dann werde ich all meine Ländereien und Güter aufgeben und deine Hand nehmen, Erik, und wir werden zusammen nach England reisen und das Schicksal suchen, das die Nornen uns zugedacht haben. Was sagst du?«
»Ich sage, deine Worte waren gut, und wünschte, der Frühling wäre schon da.«
»Ay, Erik, wäre der Frühling doch nur schon da. Unser Los war schwer, und ich habe große Zweifel, daß die Dinge für uns einen guten Ausgang nehmen werden. Und nun mußt du fort, denn bald werden die Dienstmägde kommen, um nach mir zu suchen. Paß auf dich auf, Erik, der du mich liebst. Paß auf dich auf, und sei vor Swanhild auf der Hut!« Dann küßten sie sich noch einmal süß und lang, und Erik ging.
Aber Gudruda blieb noch eine Weile hinter dem Vorhang aus Ried sitzen und kostete ihr Glück aus. Denn es war, als wäre der Winter schon vorbei und als leuchtete der Sommer schon in ihrem Herzen.
XXVII
WIE GUDRUDA ZUM MOOSBERG HINAUFSTIEG
Erik schritt vorsichtig aus, bis er in das kleine Tal kam, wo er Skallagrim und die Pferde zurückgelassen hatte. Es war das gleiche Tal, in dem Groa den Gifttrank für Asmund den Priester und Unna, Thorods Tochter, gebraut hatte.
»Was gibt es Neues, Herr?« fragte Skallagrim. »Du warst so lange fort, daß ich schon daran dachte, dich zu suchen. Hast du Gudruda gesehen?«
»Ay«, sagte Erik, »und es ist ausgemachte Sache, daß wir im Frühjahr nach England segeln und uns von Island und unserem Unglück verabschieden.«
»Wäre es doch nur schon Frühling«, sagte Skallagrim, indem er mit Hellauges eigenen Worten sprach. »Warum segeln wir nicht sofort und machen der Sache ein Ende?«
»Gudruda hat kein Schiff, und es ist zu spät, um noch in See zu stechen. Auch glaube ich, daß sie wegen der Blutfehde, die sie wegen Björns Tod mit mir hat, noch eine gewisse Zeit verstreichen lassen will.«
»Ich würde lieber diese Risiken eingehen als über den Winter auf Island zu bleiben«, sagte Skallagrim. »Es ist noch lang bis zum Frühjahr, und unsere Wolfshöhle ist in den dunklen Monaten kalt, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.«
»Es leuchtet ein Licht in der Dunkelheit«, sagte Erik, und sie ritten davon. Alles verlief gut mit ihnen, bis sie spät in der Nacht zu den Hängen des Moosbergs kamen. Sie schliefen halb auf ihren Pferden, müde vom vielen Reiten, und auch die Pferde waren erschöpft. Plötzlich blickte Skallagrim auf und erhaschte das schwache Funkeln von Schwertern, die hinter großen Felsen versteckt waren.
»Wach auf, Herr!« rief er. »Vor uns sind Feinde.«
Gizurs Leute hinter den Felsen hörten seine Worte und kamen aus ihrem Hinterhalt hervor. Es waren sechs, und sie stellten sich Seite an Seite vor den beiden auf. Sie hatten die Berge beobachtet, denn sie hatten das Gerücht gehört, Erik sei unterwegs, und als sie ihn sahen, hatten sie sich schnell hinter den Felsen versteckt.
»Welchen Weg sollen wir nun einschlagen?« fragte Erik und zog Weißfeuer.
»Wir haben schon oft gegen mehr als
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