Erik der Wikinger
Gudruda setzte sich darauf, schüttelte die Schuhe ab und tauchte ihre weißen Füße ins Naß. Dann warf sie plötzlich den Mantel ab, entblößte die Arme, blickte auf den Schatten ihrer Schönheit im Wasserspiegel und seufzte mehrmals, während Erik sie mit berstendem Herz betrachtete, denn er konnte keine passenden Worte finden.
Nun sprach sie laut. »Welchen Nutzen hat es, so schön zu sein?« fragte sie. »Oh, weshalb wurde ich so schön geboren? Nur um Tod über so viele und Leid über mich und den Mann, den ich liebe, zu bringen?« Und sie schüttelte ihr goldenes Haar, das die schneeweißen Arme umfloß, führte das Tuch an die Augen und weinte leise. Aber Erik glaubte zu hören, wie sie zwischen ihrem Schluchzen seinen Namen rief.
Nun konnte Erik den Anblick der weinenden Gudruda nicht länger ertragen. Während sie weinte und ihre Augen bedeckte, erhob er sich hinter dem Riedschirm und stellte sich neben sie, so daß sein Schatten auf sie fiel. Sie fühlte, wie das Sonnenlicht verflog und schaute auf. Und siehe da, es war keine Wolke, sondern Eriks Gestalt, und die Sonne funkelte auf seinem goldenen Helm und Haar.
»Erik!« rief Gudruda. »Erik!« Dann fiel ihr ein, wie sie gekleidet war, und sie griff nach dem Mantel, hüllte ihn sich um die Arme und fuhr mit den nassen Füßen in die Schuhe. »Hinfort mit dir!« sagte sie. »Reicht es dir nicht, Swanhilds wegen deinen Eid gebrochen, meinen Bruder getötet und meine Halle zerstört zu haben? Mußt du dich nun so anschleichen?«
»Ich glaubte, du hättest geweint und meinen Namen gerufen, Gudruda«, sagte er bescheiden.
»Nach welchem Recht bist du hier, um meinen Worten zu lauschen?« gab sie zurück. »Ist es denn befremdlich, daß ich den Namen des Mannes ausspreche, der meinen Bruder getötet hat? Ist es befremdlich, daß ich um meinen Bruder weine, den du erschlagen hast? Verschwinde, Hellauge, bevor ich meine Leute rufe und sie dich töten!«
»Ruf nur, Gudruda. Ich gebe nicht mehr viel um mein Leben. Als ich vom Moosberg kam, um mit dir zu sprechen, legte ich es in die Hand des Schicksals, und nun werde ich dafür bezahlen, wenn du willst. Keine Angst, deine Knechte werden es nicht schwer haben, denn ich werde keinen Widerstand leisten. Sag, soll ich für dich rufen?«
»Sch! Sprich nicht so laut! Die Leute könnten dich hören, Erik, und dann bist du in Gefahr – und über mich wird man böse Dinge erzählen, weil ich mit dem Mann gefunden wurde, der meinen Bruder getötet hat.«
»Ich habe auch Ospakar getötet, Gudruda. Sicher wiegt der Tod des Mannes, an dessen Seite du gesessen hast, für dich schwerer als der Björns.«
»Noch war der Brautbecher nicht geleert, Erik; daher muß ich wegen Ospakar keine Blutfehde eingehen.«
»Wünschst du also, daß ich gehe, Herrin?«
»Ja, geh! Geh! Laß mich nie wieder dein Gesicht sehen!«
Wortlos wandte sich Hellauge um. Er machte drei Schritte, doch Gudruda wandte den Blick nicht von ihm ab.
»Erik!« rief sie. »Erik! Du darfst noch nicht gehen, denn zu dieser Stunde führen die Knechte die Kühe zum Melken her, und sie werden dich sehen. Verstecke dich hier. Ich … Ich werde gehen. Denn obwohl du wirklich den Tod verdienst, bin ich nicht willens, ihn dir zu bringen – unserer alten Freundschaft wegen bin ich nicht bereit dazu!«
»Wenn du gehst, werde ich auch gehen«, sagte Erik. »Knechte oder keine Knechte, ich werde gehen, Gudruda.«
»Du bist grausam, mich zu einer solchen Wahl zu zwingen, und ich habe allen Grund, dich deinem Schicksal zu überlassen.«
»Wie du willst«, sagte Erik, aber sie tat so, als habe sie seine Worte nicht gehört.
»Nun«, sagte sie, »wenn wir schon hier bleiben müssen, ist es besser, daß wir uns dort verstecken, wo du dich versteckt hast – für den Fall, daß jemand kommt.« Und sie glitt durch den Vorhang aus Riedgräsern, setzte sich auf den Boden und fuhr fort:
»Nein, setz dich nicht neben mich; setz dich dort drüben hin. Ich will dich nicht berühren, nicht ansehen, der du Swanhilds Geliebter warst und meinen Bruder Björn getötet hast.«
»Sag, Gudruda«, sprach Erik, »habe ich dir nicht von Swanhilds magischen Künsten erzählt? Habe ich dir nicht vor allen Männern drüben in der Halle davon erzählt, und hast du nicht gesagt, daß du meinen Worten Glauben schenkst? Sprich.«
»Das ist wahr«, sagte Gudruda.
»Warum verhöhnst du mich dann, Swanhilds Geliebter gewesen zu sein – der Geliebte der Frau gewesen zu sein, die ich
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