Erik der Wikinger
keine Kraft mehr, weiterhin zu schöpfen. Erik wirkte zornig und hager im weißen Licht des Mondes, und sein langes Haar stand wild von ihm ab. Noch grimmiger war Skallagrim anzusehen, wie er die Schutzbrüstung umklammerte und in die Tiefe starrte.
»Das Schiff schlingert schwer, Herr«, schrie er, »und das Wasser strömt schnell ein.«
»Können die Männer nicht mehr schöpfen?« fragte Erik.
»Nein, sie sind erschöpft und warten auf den Tod.«
»Da brauchen sie nicht lange zu warten«, sprach Erik. »Was sagen sie über mich?«
»Nichts.«
Da stöhnte Erik laut auf. »Es war mein Starrsinn, der uns auf diesen Kurs gebracht hat«, sagte er. »Ich gebe wenig um mich selbst, aber es ist schlimm, daß all die Männer wegen der Narretei eines einzigen sterben sollen.«
»Gräme dich nicht, Herr«, gab Skallagrim zurück, »das ist der Verlauf der Welt, und es gibt schlimmere Todesarten als das Ertrinken. Doch hör! Mich deucht, dort erklingt das Tosen der Brecher.« Und er deutete nach links.
»Ganz bestimmt sind es Brecher«, sagte Erik. »Nun ist das Ende nah. Aber sieh, bäumt sich dort rechts nicht Land auf, oder ist es eine Wolke?«
»Es ist Land«, sagte Skallagrim, »und ich bin mir sicher, daß wir in eine Flußmündung steuern. Sieh, dort kocht das Meer wie eine heiße Quelle. Halt den Kurs, Herr, vielleicht kommen wir zwischen Felsen und Land hindurch. Der Wind läßt schon nach, und die Strömung beruhigt das Meer.«
»Ay«, sagte Erik, »schon kommen Nebel und Regen auf«, und er deutete voraus, wo sich dichte Wolken zur Gestalt eines Riesen zusammenballten, dessen Kopf in den Himmel ragte und sich, den Mond verhüllend, auf sie zubewegte.
Skallagrim sah sich um und sprach: »Hier scheint es sich um Hexerei zu handeln. Sag, Herr, hast du je Nebel gegen den Wind ziehen sehen, wie er hier zieht?«
»Nie zuvor«, sagte Erik, und als er sprach, erlosch das Licht des Mondes.
Swanhild, Atlis Weib, saß in all ihrer Schönheit in ihrem Frauengemach auf der Insel Straumey und sah mit weit geöffneten Augen auf das Meer. Es war Mitternacht. Niemand rührte sich in Atlis Halle, und doch sah Swanhild aufs Meer hinaus.
Nun wandte sie sich um und sprach in die Dunkelheit hinein, denn es schien kein Licht im Frauengemach außer dem ihrer großen Augen.
»Bist du da?« sagte sie. »Ich habe dich dreimal mit den Worten, die du kennst, herbeigerufen. Sag, Kröte, bist du da?«
»Ay, Swanhild die Vaterlose! Swanhild, Groas Tochter! Hexenkind der Hexenmutter! Ich bin hier. Was verlangst du von mir?« pfiff eine hohe Stimme, die der eines sterbenden Säuglings ähnelte.
Swanhild schauderte ein wenig, und ihre Augen wurden heller – so hell wie die einer Katze.
»Zunächst verlange ich«, sagte sie, »daß du dich zeigst. So schrecklich du auch bist, ich möchte dich lieber sehen, als mit dir zu sprechen, ohne dich zu sehen.«
»Verspotte meine Gestalt nicht, meine Dame«, gab die dünne Stimme zurück, »denn sie ist so, wie du sie dir in Gedanken vorstellst. Für die Guten bin ich so schön wie der Tag; für die Bösen so verderbt wie ihr Herz. Kröte hast du mich genannt; sieh, nun komme ich als Kröte!«
Swanhild blinzelte, und siehe da, in der Finsternis erwuchs ein Ring aus weißem Licht, und darin kauerte sich ein schrecklich anzusehendes Wesen zusammen. Es hatte die Gestalt einer großen, gefleckten Kröte, und darauf saß das Gesicht einer alten, häßlichen Hexe. Weiße Locken hingen zu beiden Seiten hinab, die Augen waren blutrot und eingefallen, die Zähne schwarz, und die Haut fahlgelb. Es grinste furchterregend, als Swanhild vor ihm zurückschreckte, und fuhr dann fort:
»Grauer Wolf hast du mich einst genannt, Swanhild, als du Gudruda den Goldfuchs-Abgrund hinunterstürzen wolltest, und als grauer Wolf kam ich und gab dir einen Rat, den du nur schlecht befolgtest. Ratte hast du mich einst genannt, als du Hellauge vor Ospakars Schergen retten wolltest, und als Ratte kam ich, und in dieser Gestalt bin ich übers Meer geeilt. Kröte nennst du mich jetzt, und als Kröte krieche ich dir um die Füße. Nenne dein Begehr, Swanhild, und ich werde meinen Preis nennen. Aber beeile dich, denn es gibt noch andere schöne Damen, deren Wünsche ich vor Morgengrauen erfüllen muß.«
»Du bist schrecklich anzusehen!« sagte Swanhild und hielt sich die Hand vor Augen.
»Sag doch nicht so etwas, Herrin; sag es nicht. Sieh dir mein Gesicht an. Erkennst du es nicht? Es ist das deiner Mutter – die tote
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