Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
durch die erleuchteten Türen eintrat, die von uniformierten Wächtern aufgehalten wurden, staunte sie über all die Pracht. Sie hatte gedacht, das schlossähnliche Hotel, in dem Pandre wohnte, sei an Luxus kaum zu überbieten. Aber das Africa Hotel übertraf alles, was sie sich hätte erträumen können. Sie bezog die zweitgrößte Suite des Hotels, da die Hochzeitssuite schon gebucht war. Am ersten Abend ließ sie sich ein Menü in ihrem Zimmer servieren und trank Champagner, den sie erst ein einziges Mal zuvor gekostet hatte: an jenem Abend ihrer Hochzeit mit Senhor Vaz. Am nächsten Tag begann sie mit der Suche nach Isabels Eltern. Das Hotel hatte zwei afrikanische Männer für sie engagiert, um ihr den Weg zu den Slumgebieten zu zeigen, wo sie Isabels Eltern vermutete. Mehr als eine Woche lang durchkämmte sie mit den beiden Männern alle Randgebiete der Stadt. Da sie in Lourenço Marques nie ein afrikanisches Wohngebiet besucht hatte, war es ein Schock für sie, als sie erkennen musste, in welchen Verhältnissen die schwarzen Menschen lebten. Sie sah ein Elend, das sie sich nie hätte vorstellen können. Jeden Abend saß sie wie gelähmt in ihrer Suite. In den Tagen der Suche konnte sie fast nichts mehr essen. Wenn sie schlief, hatte sie ständig Albträume, die sie fast immer zurück zum Fluss und dem Fjäll führten, ohne dass sie das Haus ihrer Kindheit gesehen hätte.
Aber nach ein paar Tagen bemerkte sie bei ihren Besuchen in den schwarzen Stadtteilen eine ungeahnte Lebensfreude. Der geringste Anlass zum Feiern wurde wahrgenommen. Die Menschen unterstützten einander, obwohl sie kaum etwas zum Teilen hatten.
Eines Abends notierte sie in ihrem Tagebuch eine Art Erklärung für das, was sie glaubte entdeckt zu haben, nachdem sie unter die Oberfläche des Elends und der Armut geblickt hatte.
Sie schrieb: »Mitten in der unbegreiflichen Armut sehe ich Inseln von Reichtum. Wie kommt es, dass es diese Freude gibt? Diese Wärme, die längst erkaltet sein müsste? Wenn ich es umkehre, sehe ich bei den Weißen, die hier leben, viel größere Armut mitten in ihrem Wohlstand.«
Sie las durch, was sie geschrieben hatte. War es ihr gelungen, klar auszudrücken, was sie empfand? Sie hatte das Gefühl, als sähe sie die schwarzen Menschen und ihr Leben endlich aus der richtigen Perspektive.
Vielleicht hatte sie, die selbst von den Ärmsten in Schweden kam, mehr mit den Schwarzen gemeinsam, als ihr bisher bewusst gewesen war?
Am nächsten Tag setzte sie ihre Suche nach Isabels Eltern fort. Jeder Schritt, den sie machte, jeder Mensch, der ihrem Blick begegnete, überzeugte sie davon, dass sie mit dem, was sie am Vorabend geschrieben hatte, recht hatte.
Zum ersten Mal kam ihr ein überraschender Gedanke: Vielleicht könnte ich trotz allem hier zu Hause sein? Sie begriff jetzt, dass sie nicht nur nach Isabels Eltern suchte. Sie suchte auch auf eine ganz neue Weise nach sich selbst.
Währenddessen wurde im Hotel eine große Hochzeit vorbereitet. Ein portugiesischer Prinz sollte eine englische Herzogin heiraten. Auf Reede lagen Luxusjachten, die die lange Reise von Europa gewagt hatten. Hanna war die Einzige im Hotel, die nicht zu den Hochzeitsgästen gehörte. Natürlich bekam sie trotzdem eine Einladung. Sie nahm dankend an und registrierte widerstrebend, wie wohl sie sich unter erwartungsvollen weißen Menschen fühlte, nach all dem Elend, das ihr bei der Suche nach Isabels Eltern begegnet war.
Schließlich war sie bereit aufzugeben. Sie würde sie niemals finden können, um ihnen von Isabels Tod zu erzählen. Sie bezahlte die beiden Männer und sah, wie verwundert, fast furchtsam sie die vielen Geldscheine betrachteten, die sie ihnen gab.
Am selben Abend sollte die Hochzeitsfeier stattfinden. Hanna verbrachte den Nachmittag im schattigen Teil des Hotelgartens, um die Vorbereitungen nicht zu stören.
Plötzlich stand ein älterer weißer Mann im dunklen Anzug vor ihr. Er war etwa sechzig Jahre alt, und Hanna fand ihn zunächst aufdringlich. Aber sie spürte schnell, dass seine Freundlichkeit echt war und er nur das Gespräch suchte.
Sie betrachteten die bunten Vögel mit den langen Schnäbeln, die zwischen den Büschen und Blumen herumschwirrten.
»Ich bin unterwegs«, sagte der Mann unvermittelt.
»Sind wir das nicht alle?«, erwiderte sie.
»Ich heiße Harold ffendon« sagte der Mann. »Früher hatte ich einen anderen Namen. Ich weiß nicht mehr, welchen. Aber mein Vater hieß Wilson, John Wilson, und wurde
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