Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
immer nur Jack genannt. Jetzt bin ich unterwegs zu dem, was zu seiner Zeit Van-Diemen’s-Land hieß.«
»Was ist das?«
»Heute heißt es Tasmanien. Aber damals, als mein Vater dort lebte, war es eine gefürchtete Strafkolonie, in die England viele seiner schlimmsten Verbrecher schickte. Sie sollten dort sterben oder einfach in ihrem Heimatland von den Straßen verschwinden. Mein Vater hatte in der Stadt Bristol ein Paar Schuhe gestohlen. Dafür wurde er für fünfzehn Jahre des Landes verwiesen. Als seine Strafe abgelaufen war, entschied er sich zu bleiben. Er wurde Schaffarmer und lernte die Kunst, Orgeln zu bauen. Jetzt ist er tot. Aber ich werde hinfahren, um in seiner Nähe zu leben.«
»Wie sind Sie hier gelandet?«
»Der Weg von Australien ist lang.«
Ja, dachte Hanna. Der Weg ist sehr lang. Ich bin nie in Australien angekommen. Auch ich bin hiergeblieben.
»Auf dem Weg dorthin kann man Eisberge sehen«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte ffendon. »Viele Schiffe, die Verbrecher nach Australien und Van-Diemen’s-Land brachten, sind nie dort angekommen. Einige sind sicher von den Eisbergen versenkt worden.«
Das Gespräch verebbte, genauso plötzlich, wie es begonnen hatte.
ffendon stand auf, verbeugte sich und reichte ihr seine Hand. »Ich brauche Hilfe für diese Reise«, sagte er. »Ich schäme mich, aber ich bitte Sie trotzdem.«
Sie ging hinauf in ihr Zimmer, holte fünfzig englische Pfund und kehrte in den Garten zurück. »Woher wussten Sie, dass ich Geld habe?«, fragte sie.
»Sie erwecken den Anschein, sich vor nichts zu fürchten. Ein solcher Mensch glaubt entweder an Gott, oder er besitzt viel Geld. Sie kamen mir nicht wie eine Gläubige vor. Also blieb mir nur die andere Möglichkeit.«
»Viel Glück für Ihre Reise«, sagte sie und reichte ihm das Geld.
Sie sah ihm nach. Ob er nach Tasmanien reisen oder das Geld verspielen würde, wusste sie nicht. Es war ihr gleich.
Hanna nahm an der Hochzeitszeremonie teil, sah das schöne junge Paar und dachte an die einfachen Umstände zurück, unter denen sie und Lundmark in Alger geheiratet hatten. Aber vor dem Abendessen kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um einen Entschluss zu fassen, wohin sie gehen sollte. Wo lag das Tasmanien, zu dem sie sich begeben könnte? Was für eine Wahl hatte sie? Hatte sie überhaupt eine Wahl? Oder konnte sie genauso gut im Africa Hotel bleiben, bis ihr das Geld ausging?
Spätnachts beschloss sie, nach Phalaborwa zu fahren, das Halvorsen erwähnt hatte, als die Missionare an Bord gekommen waren. Sie könnte die Missionsstation aufsuchen und dort vielleicht entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. In der Station würde sie die letzten Spuren der Frau abschütteln können, die sie während der Zeit in Afrika geworden war.
Sie schlief ein paar Stunden, ehe sie in der Morgendämmerung aufstand. Das Hochzeitsfest war noch im Gang. Am Fenster zuckte sie zusammen. Unter einem Baum im Park stand Moses. Er schaute zu ihrem Fenster hinauf. Sie stieß einen Ruf aus, da sie wusste, dass sie sich nicht geirrt hatte. Außer sich vor Freude schlüpfte sie in ihre Kleider und eilte in den Garten hinunter. Moses stand nicht mehr an dem Baum. Aber sie wusste, was er dachte. Es wäre unpassend, wenn sich ein schwarzer Mann im Garten des Hotels mit einer weißen Frau träfe. Deshalb hatte er sich zurückgezogen. Sie sah sich um und bemerkte dichtes Gebüsch an der Steinmauer, die das Hotel umgab.
Da stand er und wartete auf sie. Er trug nicht seinen üblichen Overall, sondern einen verschlissenen schwarzen Anzug. Trotzdem war sie erstaunt, dass man ihn eingelassen hatte. Die Schwarzen, die im Hotel oder im umliegenden parkartigen Garten arbeiteten, waren alle uniformiert.
»Ich bin über die Mauer geklettert«, sagte er. »Hier wäre ich niemals willkommen. In den Minen lernt man, sich an herabgestürzten Steinmassen hochzuziehen. Es gibt keine Mauern, die ein Minenarbeiter nicht überwinden kann.«
Sie hörte kaum auf das, was er sagte. Sie stellte sich dicht neben ihn und spürte, wie er seine Arme um sie legte.
»Wie bist du hergekommen?«, fragte sie.
»Mit einem anderen Schiff.«
»Wann bist du angekommen?«
»Gestern.«
»Aber du weißt bestimmt, dass ich deine Eltern nicht gefunden habe?«
»Ich weiß.«
Sie sah ihn an. »Warum bist du gekommen?«
Er trat einen Schritt zurück und zog einen kleinen Beutel aus der Tasche. Hanna erkannte ihn sofort. Einst hatte sie Isabel einen solchen Beutel
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