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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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weißer Mann hat den Wasserkrug einer Frau zerschlagen.«
    Hanna wurde ungeduldig, da die Antwort ihr keinen verständlichen Zusammenhang vermittelte. Ärgerlich schickte sie Julietta, um Anaka zu holen. Als Anaka kam, war sie womöglich noch wortkarger als Julietta.
    Hanna zog sich an und dachte, es sei ein glücklicher Zufall, dass sie gerade an diesem Morgen den Besuch von Andrade erwartete, der ihre Unterschrift auf einigen Dokumenten benötigte. Es gab niemanden, der so gut über die Ereignisse in der Stadt Bescheid wusste, ob sie nun offen oder versteckt geschahen. Während sie frühstückte und auf seine Ankunft wartete, ging sie hin und wieder auf die Veranda zu ihrem Fernglas. Es brannte noch immer, offenbar waren neue Brandherde entstanden, aber sie waren hinter Häuserfassaden verborgen. Sie konnte ferne Rufe und das trockene Knallen von Gewehren hören. Carlos saß regungslos oben auf dem Dach und verfolgte das Geschehen.
    Als Andrade eintraf, war er rot im Gesicht und erregter, als sie ihn je gesehen hatte. Ehe sie auch nur eine Frage stellen konnte, begann er zu erklären, was an diesem Morgen geschehen war. Er benahm sich unhöflich gegenüber ihren Dienstboten und legte demonstrativ einen Revolver auf den Frühstückstisch, bevor er sich setzte. Der plötzliche Aufruhr war ein paar Stunden zuvor ausgebrochen, als eine Gruppe von Schwarzen aus den Slumgebieten hereinmarschiert war. Sie hatten genauestens alle Straßen vermieden, an denen portugiesische Soldaten darüber wachten, dass das nächtliche Ausgehverbot eingehalten wurde. Unten in der Stadt angekommen, waren sie zu einem Polizeirevier gestürmt und hatten es in Brand gesetzt, indem sie mit Petroleum gefüllte Flaschen durch die Fenster warfen. Die verschlafenen Soldaten hatten begonnen, die Aufrührerischen zu beschießen, und bald war das blutige Chaos nicht mehr aufzuhalten.
    »Es ist also ein Aufruhr«, sagte Hanna. »Dafür muss es einen Grund geben.«
    »Muss es?«, erwiderte Andrade ironisch. »Diese schwarzen Wilden brauchen keine anderen Gründe als ihren ererbten Blutdurst, um einen Aufruhr zu beginnen, der nur zu ihrem Untergang führen kann.«
    Hanna fiel es schwer, ihm zu glauben. So einfach, wie er es darstellte, konnte es nicht sein. Schon an dem Tag, an dem Kapitän Svartmans Schiff am Kai angelegt hatte, war sie der Meinung gewesen, Feindseligkeit und Trauer in den Augen der Schwarzen bemerkt zu haben. Sie lebte auf einem traurigen Kontinent, auf dem nur die weißen Menschen lachten, und das oft viel zu laut. Aber dieses Lachen, das wusste sie, war oft nur eine Art, Angst zu verbergen, die leicht zu Schrecken anwuchs. Vor der Dunkelheit, vor den Menschen, die man nicht sehen konnte.
    Hanna bestand auf ihrer Frage. Etwas musste die Wut der Schwarzen ausgelöst haben.
    Andrade zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Jemand meint wohl, ein Unrecht erlitten zu haben, und will sich mit allen Mitteln rächen. Aber es ist bald vorbei. Wenn es etwas gibt, was ich von diesen schwarzen Menschen weiß, dann, dass sie feige sind. Sie rennen wie die Hunde, wenn es ernst wird.«
    Er nahm den Revolver vom Tisch. »Eigentlich würde ich unser Treffen gern auf morgen verschieben. Wenn die Ruhe wiederhergestellt ist, die schlimmsten Gewalttäter tot sind und die anderen in der Festung sitzen. Ich hätte nicht übel Lust, zu den Brandherden zu fahren. Ich gehöre zur Bürgerwehr, die bei einer Bedrohung unserer Sicherheit bereit ist, den Soldaten beizustehen. Mit diesem Revolver kann ich bestimmt von einem gewissen Nutzen sein.«
    In Andrades Stimme war etwas Triumphierendes, was Hanna erschreckte. Zugleich wollte sie herausfinden, was wirklich auf den Straßen in der Nähe des Bordells geschah.
    »Ich komme mit«, sagte sie und stand auf. »Natürlich ist das wichtiger als die Papiere, die ich unterschreiben soll.«
    »Um der Sicherheit willen wäre es angezeigt, dass Sie hierbleiben«, sagte Andrade. »Neger, die Amok laufen, sind gefährlich.«
    »Ich muss mich um das Bordell kümmern«, sagte Hanna. »Ich trage die Verantwortung für meine Angestellten.«
    Sie legte sich einen Schal um die Schultern, setzte den Hut mit der Pfauenfeder auf den Kopf und griff nach ihrem Schirm. Andrade sah ein, dass sie es sich nicht überlegen wollte.
    Sie fuhren durch die Stadt, die eigentümlich still war.
    Die wenigen Schwarzen, die sich auf den Straßen bewegten, drückten sich dicht an die Hauswände. Überall gab es Soldaten aus der Garnison der Stadt.

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