Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
fielen bereits über die Toten her. Pferde und Wagen, die von den Soldaten beschlagnahmt worden waren, blieben im Schatten stehen. Soldaten mit Taschentüchern vor den Gesichtern begannen, die Körper hochzuwuchten.
Wie Tierkadaver, dachte Hanna. Frisch geschlachtet, noch nicht zerlegt.
Sie eilte davon. Andrade rief ihr etwas hinterher, ohne dass sie verstand, was er wollte.
Sie blieb nicht stehen, bis sie in ihrem Bordell war.
Die schwarzen Frauen saßen auf den Sofas und sahen sie an. Sie dachte, sie sollte etwas sagen.
Aber was sollte denn das sein?
53
Ihr Schweigen verunsicherte Hanna, aber auch die Tatsache, dass sie ihr direkt in die Augen sahen. Was sie an diesem Morgen erlebt hatte, war so erschreckend und überwältigend, dass sie es jetzt war, die den Blick abwandte. Sie kehrte auf die Straße zurück, wo ein Offizier Munition an die wachhabenden Soldaten verteilte. Sie erkannte den Offizier wieder, da er regelmäßig das Bordell besuchte, und sprach ihn an. Er schlug vor, sie mit dem Armeewagen nach Hause zu fahren, sobald er seine Aufgabe erledigt hatte. Sie setzte sich ins Auto und wartete. Da es kein Verdeck hatte, klappte sie ihren Schirm zum Schutz gegen die sengende Sonne auf. Fliegenschwärme umschwirrten aufgeregt ihren Kopf, als wäre auch sie tot. Sie schlug mit der Hand nach den Insekten und dachte, alles, was geschah, sei ein hartnäckiger Traum, aus dem es ihr nicht zu erwachen gelang.
Der junge Offizier setzte sich selbst ans Steuer. Neben ihm nahm ein Soldat mit schussbereitem Gewehr Platz. Als sie vor dem Steinhaus hielten, fragte der Offizier, ob er ihr einen bewaffneten Wächter stellen solle. Aber in ihrem Zuhause fühlte Hanna sich sicher. Außerdem ahnte sie, dass der Offizier mit ihr ein Geschäft machen wollte, um das Bordell zu besuchen und sich eine der Frauen auszusuchen, ohne zu bezahlen. Sie lehnte daher sein Angebot ab und ging zur Haustür, die Julietta geöffnet hatte. Das Mädchen nahm ihr den Hut, die Handschuhe und den Schirm ab.
Hanna bat sie, ihr zur Veranda zu folgen. Der Geruch von den Bränden unten in der Stadt war immer noch spürbar. Anaka brachte eine Karaffe mit Wasser. Julietta wartete ein paar Meter von dem Sofa entfernt, auf das Hanna sich gesetzt hatte. Sie zeigte auf einen Stuhl, und Julietta ließ sich vorsichtig nieder, auf dem äußersten Rand.
»Was ist geschehen?«, fragte Hanna. »Keine Erfindungen. Nur das, was du sicher weißt.«
Julietta erzählte langsam, da sie wusste, dass Hanna Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. Hanna musste sie oft bitten, das Gesagte zu wiederholen. Aber an diesem Vormittag auf der Veranda sprach Julietta deutlicher als sonst. Vielleicht lag es daran, dass das, was sie zu berichten hatte, wirklich wichtig für sie war.
Eine junge Frau namens Nausica hatte an einem Brunnen am Rand von Xhipamanhine, einer der größten Wohngegenden für Schwarze, Wasser geholt. Wie alle anderen Frauen trug sie den Wasserkrug auf dem Kopf. Der Krug fasste dreißig Liter, und Nausica balancierte wie schon so viele Male zuvor den Pfad am Rand des Wohngebiets entlang. Auf dem Heimweg war Nausica drei weißen Männern begegnet, alle jung, mit Schrotflinten ausgestattet, um an den großen Müllhalden am Strand Möwen zu schießen. Es war ein sumpfiges Gelände, auf dem die Malariamücken einen ihrer größten Brutplätze hatten. Nausica versuchte, den drei Männern auszuweichen, ohne die Kontrolle über den schweren Wasserkrug zu verlieren. Aber als sie vorbeikamen, schlug einer der jungen Männer mit seinem Gewehrkolben gegen den Tonkrug, so dass er zerbrach und das Wasser sich über Nausica ergoss. Sie sank auf dem Boden zusammen und umfasste ihre Knie fest mit den Händen. Hinter sich hörte sie die Männer lachen. Einige Frauen, die auf ihren mageren machambor arbeiteten, hatten gesehen, was geschehen war. Erst als die drei Männer auf dem Pfad verschwunden waren, hatten sie sich vorgewagt, um zu sehen, ob Nausica Hilfe brauchte.
Es gab aber noch eine weitere Person, die beobachtet hatte, was geschehen war. Das war Nausicas Vater Akatapande, der jetzt den Pfad entlanggelaufen kam. Er war Lokführer des Zuges, der zwischen der Stadt und der südafrikanischen Grenze bei Ressano Garcia verkehrte. Gerade heute hatte er einen seiner monatlichen zwei freien Tage. Nachdem er festgestellt hatte, dass Nausica unverletzt war, wollte er die drei Männer verfolgen, die den Übergriff begangen hatten. Nausica und die anderen Frauen
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