Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
begleitete sie hinaus aufs Deck.
»Ich werde nach Schweden zurückkehren«, sagte sie. »Andere schwedische Schiffe legen hin und wieder hier am Kai an. Aber jetzt kann ich noch nicht fahren. Ich habe die Verantwortung übernommen, solange die Besitzerin krank ist. Ich kann diese Stadt nicht verlassen, bevor sie genesen ist.«
»Natürlich«, sagte der Kapitän.
Er glaubt mir nicht, dachte Hanna. Zumindest misstraut er dem, was ich sage. Und warum sollte er das nicht tun?
Sie gingen auf dem Schiff herum, betrachteten die norwegische Waldkatze, die in Sundsvall an Bord gekommen war und jetzt zusammengerollt in der Tiefe einer großen Trossenwinde schlief.
»Berta«, sagte Hanna plötzlich. »Sie ist doch noch bei Forsman?«
»Sie hat ein Kind bekommen«, sagte der Kapitän. »Wer der Vater des Kindes ist, weiß ich nicht. Aber Forsman hat sie behalten.«
Sofort ging Hanna durch den Kopf, dass Forsman selbst der Vater des Kindes war. Sonst hätte er Berta niemals in seinem Haus bleiben lassen.
Bertas Einsamkeit, dachte sie. Und meine. Was unterscheidet sie eigentlich?
Ein schwarzer Mann kam den Kai entlanggerannt. Er trug ein Päckchen in der Hand. Darin lagen die Fotografien von Picard. Gemeinsam öffneten der Kapitän und Hanna die Verpackung. Das schwarz-weiße Bild zeigte sie wirklich so, wie sie aussah: Eine Frau, noch sehr jung, die freimütig und bestimmt in das Auge der Kamera schaut.
»Forsman und deine Mutter werden sehr froh sein«, sagte der Kapitän. »Forsman wird vielleicht vor allem erleichtert sein, dass du lebst.«
Er hatte eine letzte Frage, ehe sie sich an der Gangway trennten. »Was soll ich sagen, wo du arbeitest?«
»In einem Hotel«, antwortete sie. »Im Hotel Paradies.«
Sie reichten einander die Hand. Sie drehte sich nicht um, als sie das Schiff verließ.
Als sie am nächsten Tag zum Hafen zurückkehrte, war die Lovisa fort.
52
Ein paar Tage später. Das Meer unbewegt, keine kühlenden Winde entlang der staubigen Straßen.
Eines Nachts erwachte Hanna wie von einem Faustschlag. Carlos hatte oben in der Deckenlampe geschrien und war aufs Bett gesprungen. Hanna wusste, dass Affen auf eine besondere Art schrien, wenn sie einander in der Horde vor einer Schlange oder anderen Gefahren warnten. Sie zündete die Petroleumlampe neben dem Bett an. Als die Lampe ihren flackernden Schein über das Zimmer warf, schien Carlos sich sofort zu beruhigen. Sie dachte, er habe einen Albtraum gehabt, wie sie es bei früheren Gelegenheiten geahnt hatte, wenn er unruhig im Schlaf wimmerte und tags darauf düster in sich gekehrt und abwesend wirkte.
Etwas beunruhigte ihn. Carlos war am Fenster hochgeklettert und saß jetzt hinter dem Vorhang. Als Hanna den Stoff beiseiteschob, sah sie direkt in die kurze Morgendämmerung hinein. Aber sie sah auch, dass Rauch und Feuerflammen aus einem nicht weit vom Bordell entfernten Block aufstiegen. Als sie das Fenster öffnete, hörte sie von fern Rufe und Schreie. Carlos kletterte auf das Dach hinaus und kam nicht zurück, obwohl sie ihn rief.
Hanna richtete ihr Fernglas auf den Brandherd. Das Dämmerlicht war noch schwach, aber sie erkannte sofort, dass es keine gewöhnliche Feuersbrunst war. Schwarze Männer liefen mit Knüppeln und Pfeil und Bogen in den Händen herum. Sie warfen Steine und brennende Reisigbündel nach den Soldaten der portugiesischen Garnison, die sich versammelt hatte. Hanna sah Körper auf dem Boden liegen. Ob sie schwarz oder weiß waren, konnte sie nicht ausmachen.
Sie nahm das Fernglas vom Stativ und versuchte zu verstehen, was geschah. Dann zog sie an dem Glockenstrick, sehr fest, damit kein Zweifel aufkam, dass sie augenblicklich einen Diener brauchte, obwohl außer Anaka sicher alle noch schliefen.
Julietta kam, halb angezogen und ungekämmt. Aber Hanna merkte sofort, dass sie hellwach war. Vermutlich hatten auch die anderen Bewohner im Haus entdeckt, was unten in der Stadt geschah, und ließen die Jüngste auf Hannas Klingeln reagieren.
Hanna nahm Julietta mit hinaus auf die Veranda.
»Was geht da vor?«, fragte sie.
»Die Menschen sind wütend.«
»Wer ist wütend?«
»Wir sind wütend.«
Die letzten Worte sagte Julietta auf eine Art, in der sie sonst nicht sprach. Sie sah Hanna dabei direkt in die Augen. Es war, als wäre sie angesteckt worden, dachte Hanna. Was da unten auf der Straße geschieht, hat auch mit mir zu tun.
»Worüber seid ihr wütend?«, fragte Hanna. »Antworte jetzt, ich befehle es dir.«
»Ein
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