Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
versuchten, ihn daran zu hindern. Er riskierte, von den weißen Männern erschlagen oder erschossen zu werden. Was zählte schon ein Vater, der dagegen protestierte, dass seine Tochter gedemütigt worden war. Aber sie konnten Akatapande nicht zurückhalten. Er lief auf dem Pfad weiter, bis er die drei Männer eingeholt hatte, die immer noch über das durchnässte Mädchen lachten.
Akatapande hatte begonnen, Flüche über die drei Männer auszustoßen. Zunächst schienen sie sich überhaupt nicht um ihn zu kümmern, sondern gingen weiter zum Strand hinunter. Doch da hatte sich Akatapande ihnen in den Weg gestellt und einem der Männer gegen die Brust geschlagen. Daraufhin hatte ihn einer der anderen mit dem Gewehrkolben niedergestoßen. Als Akatapande sich hochgerappelt hatte, war er noch einmal niedergestoßen worden. Der erste Mann hatte dann sein Gewehr auf Akatapandes Kopf gerichtet und ihn erschossen. Dann waren sie davongegangen, als wäre nichts geschehen.
Das Gerücht von Akatapandes Tod hatte sich mit einer Geschwindigkeit verbreitet, die nur äußerst brutale Übergriffe verursachen konnten. Als ein herbeigerufener Offizier vom Fort beschlossen hatte, keine Untersuchung einzuleiten, da einer der Männer der Sohn des engsten Mitarbeiters des Gouverneurs war, wuchs das leise Murren in Xhipamanhine zu einer Raserei an, und während der Morgenstunden war der Aufruhr eine Tatsache.
Hanna bezweifelte nicht, dass das, was Julietta berichtete, den Tatsachen entsprach.
Eines hatte sie jetzt verstanden: Was die Schwarzen vor allem empörte, war, dass die jungen Männer überhaupt nicht auf das reagierten, was sie getan hatten.
Ein toter schwarzer Mann: Nichts war geschehen.
Julietta stand auf, blieb aber noch auf der Veranda. Hanna fragte, ob es noch etwas gebe, was sie erzählen wolle.
»Ich möchte anfangen, im Hotel zu arbeiten«, sagte Julietta.
»Gefällt es dir hier nicht?«
Keine Antwort.
»Wir brauchen keine Angestellten im Hotel. Niemand mietet mehr ein Zimmer.«
»So meine ich es nicht.«
Hanna begriff zu ihrem Erstaunen, dass Julietta als Prostituierte arbeiten wollte. Sie würde mit den anderen schwarzen Frauen auf den Sofas zusammensitzen und auf Kunden warten. Hanna war empört. Julietta war fast noch ein Kind. Sie war jünger, als Hanna selbst es gewesen war, als sie in Forsmans fettigen Pelzen im Schlitten durch die gefrorene Landschaft zur Küste gebracht wurde.
»Bist du überhaupt schon mit einem Mann zusammen gewesen?«, fragte Hanna verärgert.
»Ja.«
»Mit wem? Wann?«
Wieder keine Antwort. Hanna würde auch keine bekommen. Aber es war kaum zu bezweifeln, dass Julietta über ihre Erfahrung die Wahrheit sagte.
Ich weiß nichts von diesen schwarzen Menschen, dachte Hanna. Ihr Leben ist für mich ein Rätsel, für das ich noch nicht einmal eine Lösung ahne. Es ist für mich so unbekannt wie der Erdteil, auf dem ich mich befinde.
»Das kommt nicht in Frage«, sagte sie. »Du bist zu jung.«
»Felicia war sechzehn, als sie anfing.«
»Woher weißt du das?«
»Sie hat es mir erzählt.«
»Ich wusste nicht, dass du mit den Frauen gesprochen hast, die da unten in der Stadt arbeiten.«
»Ich spreche mit allen. Alle sprechen mit mir.«
Hanna merkte, dass sie so nicht weiterkam: »Jetzt bin ich es, die bestimmt. Und ich sage zum letzten Mal, du bist zu jung.«
»Aber Esmeralda ist fett und alt. Kein Mann will sie mehr haben. Ich kann an ihrer Stelle anfangen.«
»Woher weißt du, dass sich keine Männer mehr für sie interessieren?«
»Das hat sie mir erzählt.«
»Hat Esmeralda das gesagt?«
»Ja.«
Hanna wusste nicht mehr, ob Julietta die Wahrheit sagte oder nicht. Aber was Esmeralda betraf, so hatte Julietta leider ganz recht. Die alternde Prostituierte war in den letzten Monaten immer mehr verkommen. Sie trank heimlich, schien ständig von Fett triefende Hühnchen zu essen und hatte die Kontrolle über ihr Gewicht gänzlich verloren. Bei einem Morgentreffen hatte Herr Eber Hanna traurig erklärt, dass Esmaralda mittlerweile fast überhaupt kein Geld mehr einbrachte. Sie saß meist untätig auf den Sofas herum. Nur hin und wieder torkelte ein betrunkener Seemann in ihre Arme und schlief dort ein, bis er von den Wächtern weggetragen wurde. Natürlich, nachdem er für den Geschlechtsverkehr bezahlt hatte, den er gehabt zu haben glaubte.
Esmeraldas Situation war nichts, was Hanna mit Julietta diskutieren wollte. Noch immer war sie empört über den Wunsch des Mädchens, im
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