Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
würde.
    Als sie den Friedhof verließ, entdeckte sie Julietta am Mausoleum eines portugiesischen Kapitäns, wo sie ein flüsterndes Gespräch mit Felicia führte. Einen kurzen Moment lang hätte sie Julietta am liebsten geohrfeigt. Aber sie ließ es auf sich beruhen.
    Als sie nach Hause kam, legte sie sich auf ihr Bett und blieb dort grübelnd viele Stunden. Dann aß sie, was ihr serviert wurde. Doch der Gedanke an den Bandwurm kehrte zurück, und sie schob den Teller weg.
    Mit der Petroleumlampe ging sie in ihr Arbeitszimmer, um im Tagebuch Esmeraldas Tod und ihr Begräbnis zu beschreiben. Doch als sie ins Zimmer trat und die Lampe die Schatten vertrieb, sah sie, dass Carlos auf ihrem Stuhl saß. In der Hand hielt er einen der Glasbehälter, den er aus dem großen Schrank geholt hatte. Der Deckel war abgeschraubt. Erst jetzt bemerkte sie, dass das Glas leer war. Dann sah sie den weißen Wurm, der sich in Carlos’ Mundwinkel bewegte. Sie schrie auf und versuchte, den Wurm mit der Hand zu erwischen. Da schluckte Carlos. Erst wollte sie ihn schlagen, aber dann presste sie seinen Kiefer auseinander und steckte ihm zwei Finger in den Hals, um ihn dazu zu bringen, sich zu übergeben. Carlos schrie und trat um sich. Er war stark, und es gelang ihr nicht, ihn festzuhalten. Anaka und Julietta kamen gelaufen, als sie den Lärm hörten. Was er verschluckt hatte, konnte Hanna nicht erklären, nur dass er es wieder von sich geben müsse. Sie bekamen Carlos zu fassen, und diesmal war es Anaka, die ihre Hand so tief in seine Kehle bohrte, dass er anfing zu speien. Gelber Möhrensaft spritzte über den Schreibtisch.
    Hanna wusste nicht, was Wurm auf Portugiesisch hieß. Sie holte einen der Glasbehälter, die sich noch im Schrank befanden, zeigte auf den Wurm und dann auf das Glas auf dem Schreibtisch, das leer war. Zusammen stocherten sie in Carlos’ Mageninhalt herum, ohne ihn zu finden. Hanna war verzweifelt, schickte Julietta nach einer weiteren Lampe und brachte Anaka dazu, erneut ihre Finger in Carlos’ Kehle zu stecken. Aber alles, was herauskam, war übelriechender Magensaft.
    Sie fanden den Bandwurm nicht.
    Carlos flüchtete zur Deckenlampe und weigerte sich herunterzukommen, als Hanna ihm zur Versöhnung das geben wollte, was er am liebsten hatte, Milch. Carlos war ein verletztes Tier, das sich in seiner uneinnehmbaren Festung versteckte, die aus einem Lampenschirm bestand.
    Julietta und Anaka säuberten den Schreibtisch. Hanna ging hinaus auf die Veranda. Die Stadt lag dunkel um sie her. In der Ferne vereinzelt Feuer, hier und da der Laut von Trommeln.
    Irgendwo hörte sie ein Lachen. Das erinnerte sie an die Nacht, in der sie sich entschlossen hatte, Kapitän Svartmans Schiff zu verlassen.
    Vielleicht ist es derselbe Mann, der lacht, dachte sie. Aber wie kann ich sicher sein, dass ich sein Lachen schon einmal gehört habe? Damals brauchte ich mich auch nicht um einen Affen zu kümmern, der einen Bandwurm gefressen hat.
    Erst in der Morgendämmerung legte sie sich schlafen.
    Da war auch Carlos in seiner Deckenlampe eingeschlafen, zusammengerollt wie ein ängstliches Kind.

55
     
    Hanna wandte sich wieder an Felicia. Sie erzählte von dem Bandwurm, den Carlos verschluckt hatte. Aber Felicia hatte ihr keinen anderen Rat zu geben als den, abzuwarten, bis der Wurm von selbst den Körper des Affen verließ. Gab es kein Heilmittel?, fragte Hanna. Nichts, was die medizinkundige Frau Carlos geben könnte, um den Wurm in seinen Eingeweiden zu töten? Aber Felicia kam mit der Antwort zurück, die geheimnisvolle Zauberin, die ihr die Würmer verkauft hatte, weigere sich, mit Affen oder anderen Tieren zu tun zu haben. Sie heilte nicht Elefanten oder Mäuse, ihr Wissen betraf menschliche Not und die Heilung, die sie bieten konnte.
    Das machte Hanna so verzweifelt, dass sie Andrades Auto lieh und zur Kathedrale fuhr, um mit einem der katholischen Priester zu sprechen. Sie ging davon aus, dass man die hiesigen Priester über alles um Rat fragen konnte, was mit dem menschlichen Leben zu tun hatte. Auch wenn es die Gesundheit eines Schimpansen war, um die sie sich sorgte, war es doch ihre eigene Unruhe, von der sie sich befreien wollte.
    Die Hitze stand wie eine Wand vor ihr, als sie die Fahrt zur Kathedrale antrat. Obwohl sie früh dran war, brannte die Sonne so stark, dass Hanna in das Dunkel hinter den geöffneten Türen eilte. Sie stand regungslos da und ließ die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen. In der Kirche knieten

Weitere Kostenlose Bücher