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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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diesem riesigen Kirchenraum alles sehr deutlich. Nur bei der Beichte ist man gut abgeschirmt. Aber ich will betonen, dass ich normalerweise kein Lauscher bin. Mein Name ist José Antonio Nunez. Ich habe viele Jahre in diesem Land gute Geschäfte gemacht. Heute aber widme ich mich ganz anderen Dingen. Dem, was wichtig ist im Leben. Ich möchte fragen, ob ich die Senhora Vaz für ein paar Minuten stören darf.«
    »Ich kenne Sie nicht. Trotzdem wissen Sie meinen Namen?«
    »Die Stadt ist nicht groß, da bleibt zumindest die weiße Bevölkerung nicht lange anonym. Lassen Sie mich nur sagen, dass ich Ihren Mann kannte und Ihnen mein Beileid aussprechen möchte. Ich habe Senhor Vaz alles Glück im Leben gewünscht.«
    Hanna schätzte das Alter des Mannes auf etwa vierzig. Seine Freundlichkeit wirkte überzeugend. Irgendwie war es, als wäre er nicht in der Stadt zu Hause, auf ähnliche Weise fremd wie sie selbst.
    Sie setzten sich in eine Kirchenbank, er entschlossen, sie eher zögernd.
    »Ich werde mich kurz fassen«, sagte Senhor José Antonio Nunez. »Ich bin bereit, Sie von dem Geschäft zu befreien, das Sie betreiben. Außerdem würde ich den Frauen Geld geben, genau auf die Weise, wie Pater Leopoldo es vorgeschlagen hat. Für mich ist das, was einen Wert hat, das Gebäude selbst. Nach all den Jahren als Geschäftsmann versuche ich jetzt, etwas von dem zurückzugeben, was ich bekommen habe. Wenn Sie mir das Haus verkaufen, werde ich es in ein Kinderheim umwandeln.«
    »Für schwarze Kinder?«
    »Ja.«
    »Mitten in dem weißen Vergnügungsviertel?«
    »Genau das ist meine Absicht. Einen Zufluchtsort für all die elternlosen schwarzen Kinder zu schaffen, die wie Laub im Wind dahintreiben.«
    »Dem wird der Gouverneur doch niemals zustimmen.«
    »Er ist mein Freund. Er weiß, dass er auf mich angewiesen ist, wenn er sein Amt behalten will. Viele Weiße hier in der Stadt entscheiden sich für das, was ich ihnen rate.«
    Hanna schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. Wer war der Mann, der mit geschlossenen Augen gelauscht hatte und jetzt das Bordell kaufen wollte?
    »Ich weiß nicht, ob ich verkaufen will«, sagte sie. »Nichts ist entschieden.«
    »Mein Angebot gilt auch morgen noch, vielleicht auch eine Zeit darüber hinaus. Ich weiß, dass Sie Anwalt Andrade beschäftigen. Sagen Sie ihm, er soll sich mit mir in Verbindung setzen.«
    »Ich weiß nicht einmal, wo Sie wohnen.«
    »Er weiß es«, antwortete José Antonio Nunez und lächelte.
    »Ich brauche Bedenkzeit. In einer Woche können wir uns hier treffen. Zur gleichen Zeit.«
    Er verbeugte sich tief. »Ich werde hier sein. Aber eine Woche ist eine zu lange Zeit. Sagen wir drei Tage.«
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind«, wiederholte sie.
    »Das können Sie sehr schnell herausfinden.«
    Hanna verließ die Kathedrale. Wieder brauchte sie Rat, und sie wusste, dass es eine Person gab, an die sie sich wenden konnte. Sie würde nach dem Mann fragen, der sich als José Antonio Nunez vorgestellt hatte, und sie würde hören, was von Pater Leopoldos Vorschlag zu halten war.
    Noch am Nachmittag fuhr sie hinaus zu Pedro Pimentas Farm, wo die Hunde bellten und die Krokodile in dem trüben Wasser der Teiche lebendige Schafe fraßen.
    Als sie aus dem Auto gestiegen und der Motor abgestellt war, hörte sie ein Geräusch, als würde im Haus Glas zerschlagen. Die Veranda lag verlassen da. Hanna sah sich um. Alles wirkte eigentümlich leer. Eine weiße Frau stürzte plötzlich aus der Tür, die Hände vors Gesicht geschlagen. Ihr folgte ein Mädchen, das laut schreiend versuchte, die Frau einzuholen.
    Sie verschwanden den Hang hinunter zu den Krokodilteichen. Danach wieder Stille.
    Jetzt trat ein Junge aus der Tür, vielleicht ein paar Jahre älter als das Mädchen. Hanna hatte weder die Kinder noch die weinende Frau je zuvor gesehen.
    Der Junge blieb vor der Tür stehen und schien den Atem anzuhalten.
    Er ist wie ich, dachte Hanna. Ich sehe mich selbst in ihm: Er versteht nichts von dem, was um ihn her geschieht.

56
     
    Das Bild, das Hanna betrachtete, verwandelte sich in ein von Sonnenstrahlen umrahmtes Gemälde. Das Gesicht des Jungen schien sich aufzulösen, die Hunde in ihren Zwingern hörten auf zu bellen und standen mit hängenden Zungen da.
    Endlich ist es ganz still, dachte Hanna. In dieser sonderbaren Stadt ist es sonst nie still. Immer ist da jemand, der redet, ruft, schreit oder lacht. Nicht einmal nachts kommt die Stadt ganz und gar zur

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