Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Gedärmen hatte. Ich habe ihn an einem meiner Spazierstöcke aufgerollt, und mein Messband zeigte vier Meter und fünfundsechzig Zentimeter.«
Hanna verzog vor Abscheu das Gesicht. Meandros nahm ihre Reaktion wahr und hob die Hände zur Entschuldigung. »Ich muss nicht auf weitere Details eingehen«, sagte er. »Der Körper kann jetzt zur Beerdigung freigegeben werden. Ich habe den Totenschein unterschrieben und als Ursache einen klaren Fall von Selbstmord angegeben.«
»Die Begräbniskosten übernehme ich.«
Meandros erhob sich, schwankte plötzlich, als hätte ihn ein Schwindelanfall betroffen, und streckte ihr dann die Hand hin. Sie begleitete ihn hinunter zur Haustür.
»Woran sterben sie?«, fragte sie.
»Die Afrikaner? Diabetes ist selten. Auch Schlaganfälle oder Herzinfarkte kommen nicht besonders häufig vor. Oft sind es Infektionen, verursacht von Malariamücken, schmutzigem Wasser, zu wenig Essen, zu einseitiger Kost, zu schwerer Arbeit. Es gibt einen breiten Graben zwischen unserer Art zu leben und damit auch zu der Art, wie wir sterben. Aber Bandwürmer können auch weiße Menschen befallen.«
»Wie bekommt man sie?«
»Man isst sie.«
»Isst sie?«
»Aus Versehen natürlich. Aber sind sie erst einmal im Körper, bleiben sie. Bis sie sich eines Tages entschließen hinauszugelangen. Es soll vorgekommen sein, dass Würmer einen Augenwinkel gewählt haben, um den Körper zu verlassen. Aber gewöhnlich ist es der natürliche Weg.«
Hanna wollte nichts mehr hören. Sie zweifelte auch daran, dass das, was er von dem Augenwinkel gesagt hatte, wirklich stimmte. Sie öffnete ihre Börse, um den Arzt für seine Visite zu bezahlen. Aber er lehnte es entschieden ab und nahm nichts an. Er hob den Hut und begann seine Wanderung hinunter zum Krankenhaus, wo er ebenso viel Verantwortung für die Toten hatte wie für die Lebenden.
Tags darauf, als das Begräbnis stattfinden sollte, machte Felicia einen Besuch bei Esmeraldas Familie. Hanna hatte den Entschluss gefasst, das Bordell an diesem Nachmittag zu schließen. Das war noch nie zuvor geschehen, obwohl mehrere Frauen zur Zeit von Senhor Vaz gestorben waren. Hanna hatte auch dafür gesorgt, dass alle anständige schwarze Kleider trugen. Als sie schließlich aufgereiht dastanden, schwarz gekleidet, mit dunklen Hüten und Trauerflor, dachte sie, es sei eine gespenstische Versammlung, die sie vor sich hatte. Es war, als wären sie alle schon tot.
Ein Trauerzug von Toten. Tote, die eine Tote betrauern. Und mitten in alldem der Gedanke an den fast fünf Meter langen Bandwurm. Ihre Übelkeit kam und ging in Wellen.
Hanna hatte einen Pferdewagen gemietet, auf dessen Ladefläche Bänke standen. Auf dem Friedhof wartete Felicia mit Esmeraldas Mann und den fünf Kindern. Esmeraldas greiser Vater sei auch gekommen, flüsterte Felicia ihr zu. Sie versammelten sich an dem offenen Grab, wo der Sarg auf dicken Baumstümpfen stand.
Der Friedhof war auf die gleiche Art aufgeteilt wie die Stadt. Rechts vom Eingang lagen die Grabplätze der Weißen, Marmorsarkophage oder imposante Mausoleen. Dahinter befand sich ein Gebiet mit einfachen Grabstätten, das Feld, auf dem die Schwarzen bestattet wurden. Auf ihren Gräbern standen wackelige Holzkreuze oder gar nichts. Hanna beschloss, dass Esmeralda einen ordentlichen Stein mit ihrem eingemeißelten Namen bekommen sollte.
Der schwarze Priester, in eine weiße Kutte gekleidet, redete in einer ihr unverständlichen Sprache. Hin und wieder hörte sie den Namen Esmeralda, verstand aber sonst nichts von dem, was er sagte. Sie dachte, das sei ganz gerecht. Von der lebenden Esmeralda hatte sie nichts gewusst, und auch im Tod würde sie eine ihr Unbekannte bleiben.
Wir sind es, die sie zu ihrer Lebensform zwingen, dachte sie erregt. Wir haben ihr Dasein in etwas verwandelt, was uns passt, nicht umgekehrt.
Sie stand da und schaute auf Esmeraldas Kinder und auf ihren Mann, der mit zusammengebissenem Kiefer auf den Pastor starrte. Als das Begräbnis vorüber war, rief sie Felicia zu sich und bat sie, Esmeraldas Mann auszurichten, dass die Familie regelmäßig Geld bekommen würde. Der Mann trat vor und bedankte sich bei ihr. Seine Hand war schweißnass, der Händedruck schlaff wie bei einem Menschen, der Angst hat, zu fest zuzupacken.
Hanna fuhr nach Hause. Herr Eber, der an der Beerdigung teilgenommen hatte, bekam den Auftrag, dafür zu sorgen, dass das Bordell jetzt wieder geöffnet und die schwarze Trauerkleidung verwahrt
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