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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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einige weißgekleidete Nonnen vor einem Madonnenbild, und ein Mann im weißen Anzug saß auf einer Bank, die Augen geschlossen, als ob er schliefe. Im Inneren des großen Kirchenraums roch es nach frisch lackierten Türen. Sie setzte sich auf einen der braunen Stühle ganz vorn im Raum. Schwarze Frauen bewegten sich barfuß über den Steinboden. Sie hatten Staubtücher und lange Stangen mit Wedeln in den Händen, mit denen sie vorsichtig über die weit oben hängenden Heiligenbilder strichen.
    Ein schwarzgekleideter Priester trat aus einem Raum im Chor. Vor dem Hochaltar blieb er stehen und putzte seine Brille. Hanna stand auf und ging zu ihm. Er setzte die Brille auf und betrachtete sie. Er war jung, kaum mehr als dreißig. Das machte sie plötzlich unsicher. Ein Priester sollte doch ein alter Mann sein.
    »Die Senhora sieht aus, als wollte sie beichten?«, fragte er freundlich.
    »Wie sieht man da aus?«, antwortete sie. »Schuldig? Voller Sünde?«
    Die Behauptung, sie sähe aus, als wollte sie beichten, traf einen wunden Punkt in ihr. Sie konnte nicht leugnen, Besitzerin des größten Bordells in der Stadt zu sein und Geld an der organisierten Sünde zu verdienen, die käuflich war. Der Priester schien jedoch nicht auf ihren abweisenden Tonfall zu reagieren.
    »Vor allem pflegen Menschen, die beichten wollen, eine Sehnsucht auszudrücken. Sie wollen sich befreien.«
    »Ich will nicht beichten. Ich bin gekommen, weil ich um Rat bitten will.«
    Der junge Priester zog zwei Stühle heran und stellte sie einander gegenüber. Die Putzfrauen waren verschwunden. Der Mann im weißen Anzug saß noch immer auf seinem Platz ganz in der Nähe und schien zu schlafen.
    »Ich heiße Pater Leopoldo«, sagte der junge Priester. »Ich bin kürzlich aus Portugal hierhergekommen.«
    »Ich heiße Hanna. Mein Portugiesisch ist nicht gut. Ich muss langsam sprechen, um die Worte zu finden, die ich brauche. Oft plaziere ich sie nicht in der richtigen Reihenfolge.«
    Pater Leopoldo lächelte. Hanna dachte, sein Gesicht sei schön, auch wenn er sehr blass war und fast den Eindruck von Unterernährung erweckte. Vielleicht hatte auch der Priester einen hungrigen Wurm im Gedärm?
    »Woher kommt die Senhora Hanna?«
    In großen Zügen erzählte sie ihre Geschichte, entschied sich aber, nichts von dem Bordell zu sagen, nur dass sie einen Portugiesen geheiratet habe, der Senhor Vaz hieß und kurz nach der Hochzeit plötzlich gestorben sei.
    »Die Senhora sagte, sie benötige einen Rat«, sagte Pater Leopoldo, der aufmerksam zugehört hatte. »Noch immer hat die Senhora keine Frage gestellt, zu der ich mich äußern könnte.«
    Ich kann nicht anfangen, von einem Affen zu sprechen, der einen Bandwurm verschluckt hat, dachte sie verzweifelt. Der Priester muss glauben, ich sei verrückt oder sei zur Kathedrale gekommen, um ihn und alles, was ihm heilig ist, zu verhöhnen.
    Trotzdem sagte sie, wie es war. Sie erzählte von dem Schimpansen, der ihr viel bedeutete, von dem Inhalt der Glasbehälter und dem Wurm, der jetzt in den Eingeweiden des Affen lebte. Der Priester regte sich nicht auf über das, was sie erzählte, er schenkte sowohl dem, was geschehen war, als auch ihrer Besorgnis um Carlos’ Schicksal Glauben.
    »Ich denke, die Senhora hat mir nicht alles erzählt«, sagte er, als sie verstummte, immer noch geduldig und freundlich. »Es ist schwierig, jemandem einen Rat zu geben, der nicht den Mut hat, die ganze Geschichte zu erzählen.«
    Hanna sah ein, dass er sie durchschaute. Obwohl Vaz kein ungewöhnlicher Name in der Stadt war, kannte Pater Leopold offenbar schon den Senhor Vaz, der das größte Bordell in der Stadt geleitet hatte. Vielleicht hatte er sogar von der Heirat mit der schwedischen Frau und von seinem Tod gehört?
    Es gab für sie keinen Grund mehr, nicht alles zu sagen. Sie erzählte von Esmeralda und dass sie selbst es war, die das Bordellunternehmen besaß und davon lebte.
    »Ich fürchte um das Leben meines Affen«, sagte sie schließlich. »Und ich weiß überhaupt nicht, was ich mit dem, was ich besitze und wofür ich die Verantwortung trage, tun soll.«
    Pater Leopoldo sah sie durch seine randlose Brille an. Sie empfand den Blick nicht als anklagend. Vermutlich, dachte sie, ist auch ein junger Priester daran gewöhnt, die eigentümlichsten Geschichten zu hören, ob nun in der Beichte oder nicht.
    »Es gibt einen Tierarzt in der Stadt, Paulo Miranda«, sagte Pater Leopoldo. »Er hat seine Klinik gleich neben dem großen

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