Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Lourenço Marques machen.«
Während der langen Zugfahrt hatte sie beschlossen, die Wahrheit zu sagen, welche Fragen er auch stellen würde.
»Ich betreibe ein Bordell«, sagte sie. »Es ist sehr erfolgreich. Ich habe es von meinem Mann geerbt. Viele meiner Kunden kommen aus Johannesburg. Zur Zeit beschäftige ich dreizehn Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Aussehens im Bordell. Ich kann es mir also leisten, Sie für Ihre Dienste gut zu bezahlen.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Besuchen Sie Isabel. Bringen Sie sie zum Sprechen. Und geben Sie mir einen Rat, was ich tun kann, um ihre Entlassung zu bewirken.«
Pandre saß schweigend da und erwog, was sie gesagt hatte. »Ich werde hundert englische Pfund für meinen Besuch verlangen«, sagte Pandre schließlich. »Außerdem habe ich einen besonderen Wunsch im Hinblick auf die Tätigkeit, die Sie ausüben.«
Ana verstand, ohne dass er noch etwas sagen musste. »Selbstverständlich«, sagte sie. »Sie haben Zugang zum Bordell, wie es Ihnen beliebt. Natürlich ohne zu bezahlen.«
Pandre stand auf und sah auf eine Wanduhr: »Es tut mir leid, dass ich mich verabschieden muss«, sagte er. »Einer meiner Klienten, mit dessen Verteidigung ich leider nicht erfolgreich war, soll im Stadtgefängnis gehenkt werden und hat um meine Anwesenheit gebeten. Das ist wirklich nichts, was ich mit Begeisterung tue. Allerdings ist es auch nicht zu viel verlangt. Ich habe den Eindruck, dass wir uns einig geworden sind. Wenn es Ihnen recht ist, kann ich die schwarze Frau nächste Woche besuchen.«
Am liebsten hätte Ana wortlos das Zimmer verlassen, als der Anwalt eine derartige Kälte gegenüber seinem Mandanten zeigte. Wie würde er ihr und Isabel überhaupt helfen können?
»Ist es ein Mann, der gehenkt werden soll?«, fragte sie.
»Natürlich ist es ein Mann.«
»Schwarz?«
»Weiß. Ein armer Mann, der sich nur einen indischen Anwalt leisten kann.«
»Was hat er getan?«
»Er hat in einem Anfall von Eifersucht zwei Frauen die Kehle durchgeschnitten, Mutter und Tochter. Sehr brutal. Aber es war natürlich kaum möglich, die Todesstrafe abzuwenden. Manche kann man retten, andere nicht. Manche sollten auch nicht gerettet werden. Wenn wir die Menschheit nicht in Raubtiere verwandeln wollen.«
Pandre verbeugte sich, läutete mit einer Glocke und verließ das Sprechzimmer. Der untertänige Sekretär kam herein und notierte ihre Adresse in Lourenço Marques.
»Was bedeutet Munshi ?«, fragte sie.
»Auf Hindi bedeutet das Wort ›ein Mann, der Lehrer ist‹. Oft ist es ein Ehrentitel. Herr Pandre ist ein weiser Mann.«
»Trotzdem werden seine Klienten gehenkt?«
Der Sekretär breitete die Hände aus, als bedauerte er einen Unglücksfall. »Das kommt sehr selten vor. Herrn Pandres Ruf ist gut.«
»Hatte er je schwarze Klienten?«
»Bisher noch nicht.«
»Warum nicht?«
»Die bekommen ihre Anwälte vom Gericht zugeteilt. Alle Schwarzen sollen von Weißen verteidigt werden.«
»Warum?«
»Damit keine Form von Parteilichkeit entstehen kann.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Gesetze und Jura sind für Spezialisten da. Herr Pandre versteht sich darauf. Er ist, wie ich gerade gesagt habe, ein weiser Mann.«
Am nächsten Tag fuhr sie nach Lourenço Marques zurück. Die Worte des Sekretärs hatte sie nicht vergessen.
Als sie ins Bordell kam, berichtete Felicia, jemand habe ein geköpftes Huhn in braunem Einwickelpapier auf die Treppe des Kommandanten gelegt. Rings um ein Bein des Huhns rankte sich eine unbeholfene Zeichnung von Isabel. Das Papier war von der Art, wie es in den indischen Läden verwendet wurde. Das Huhn war mit einer Tiersehne festgebunden. Es handle sich eindeutig um eine Warnung, dass jederzeit jemand gelyncht werden könne.
Die Drohung war düsterer geworden und näher gekommen. Die Abstände verringern sich, dachte Ana. Überall. Alle Abstände.
60
Nach der Reise nach Johannesburg verbrachte Ana immer mehr Zeit im Bordell. Felicia, die längst ihre einzige Vertraute war, hatte ihr berichtet, gewisse Kunden hätten angefangen, die Frauen schlecht zu behandeln. Ana wollte sich häufiger zeigen, da kaum ein Gast sich in ihrer Anwesenheit unbotmäßig verhalten würde. Sogleich spürte sie die erstaunte Dankbarkeit der Frauen. Wenn eine von ihnen ihrerseits einen Kunden mit Verachtung behandelte oder sich nicht darum bemühte, ihn zufriedenzustellen, nahm Ana sie sich sofort vor. Die Frauen durften sich nicht an denen rächen, die Isabel
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