Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
durfte sie Isabel mitbringen. Kleidung hatte sie ihr nur bei ihren ersten beiden Besuchen geben dürfen. Seit zwei Monaten war Isabel nun in Haft. In der Zelle roch es durchdringend nach Schweiß und Schmutz, aber Isabel konnte das bisschen Wasser, das sie bekam, nicht zum Waschen verwenden. Ana wusste, dass zwei weiße Männer in der Festung, die einen dritten Mann zu Tode geprügelt hatten, auf völlig andere Weise behandelt wurden. Aber wenn sie sich bei Lima beschwerte, war es, als wäre er taub. Er sah an ihr vorbei oder durch sie hindurch und bürstete abwesend die Revers seiner Uniformjacke.
Ana Branca, die einsame Weiße, hatte einen Aufruhr ausgelöst, indem sie Partei für Isabel ergriff, die unwürdige Mörderin.
Es war neun Uhr, als Andrade das Haus betrat und Julietta seinen weißen Hut und den Spazierstock überreichte. Julietta gab sich geziert und verbeugte sich an der Tür von Anas Arbeitszimmer. Das, was zwar nie Freundschaft gewesen war, aber immerhin Respekt, war ganz verschwunden.
Andrade setzte sich Ana gegenüber an den Schreibtisch. Zunächst wollte Ana wissen, ob Gefahr bestünde, dass Isabel enthauptet oder gehenkt würde.
»Die Todesstrafe wurde in Portugal 1867 abgeschafft«, sagte Andrade. »Ich sehe mit anderen Worten nicht die geringste Gefahr, dass sie hingerichtet werden könnte. Das habe ich schon früher zu erklären versucht.«
Ana empfand Erleichterung. Aber konnte sie ganz sicher sein?
»Ich habe die Gesetzbücher konsultiert«, sagte Andrade. »Außer bei Landesverrat wird man nicht zum Tode verurteilt. Ich habe auch einen Brief an das Justizministerium in Lissabon geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten. Viele von uns meinen, die Todesstrafe sollte wieder eingeführt werden, besonders in dem portugiesischen Gebiet, das in Afrika liegt. Es würde die Schwarzen lehren, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen Verbrechen an Weißen zu begehen.«
»Wer wird Isabel verurteilen?«, fragte Ana.
Andrade war über ihre Frage erstaunt, vielleicht sogar empört. »Sie verurteilen?«, sagte er. »Sie hat sich doch selbst verurteilt!«
»Wo wird der Prozess stattfinden? Wer ist der Richter? Wer wird sie verteidigen?«
»Wir sind hier nicht in Europa. Wir brauchen keinen Richter, um eine schwarze Frau einzusperren, die einen Mord begangen hat.«
»Dann gibt es also keinen Prozess?«
»Nein.«
»Wie lange wird sie in der Festung bleiben?«
»Bis sie stirbt.«
»Aber wird sie sich nicht verteidigen können?«
Andrade schüttelte missmutig den Kopf. Ihre Fragen irritierten ihn.
»Noch immer ist Portugals Verhältnis zu diesem schwarzen Land nicht geregelt. Wir sind hier, weil wir beschlossen haben, hier zu sein. Unsere eigenen Verbrecher schicken wir heim nach Lissabon oder Oporto. Um die Schwarzen, die untereinander Verbrechen begehen, kümmern wir uns nicht. Sie haben ihre eigenen Gesetze und Traditionen, von denen wir uns fernhalten. Aber in diesem einzigartigen Fall bleibt sie in der Festung. Das ist alles.«
»Muss sie nicht trotzdem einen Verteidiger haben? Jemanden, der in ihrer Sache spricht?«
Andrade beugte sich vor. »Gibt es nicht eine Person – sie nennt sich jetzt Ana Branca –, die sich um ihre Sache kümmert?«
»Ich bin keine Juristin. Ich brauche Rat. Hier in der Stadt gibt es niemanden, der bereit ist, mir zu helfen.«
»Vielleicht lässt sich ein indischer Anwalt in Johannesburg oder Pretoria finden, der sich dieses Falls annimmt?«
Andrade zog einen goldenen Federhalter aus der Brusttasche und schrieb einen Namen und eine Adresse auf die Rückseite seiner Visitenkarte. »Ich habe von einer denkbaren Person gehört«, sagte er, als er die Visitenkarte auf den Tisch legte. »Er heißt Pandre und kommt aus Bengalen. Aus einem für mich unerklärlichen Grund hat er Shangana gelernt, die Sprache, die Isabel spricht. Darüber hinaus beherrscht er das Portugiesische. Er könnte Ihnen vielleicht helfen.«
Andrade stand auf und verbeugte sich. Als Ana ihm Geld geben wollte, schüttelte er verächtlich den Kopf. »Ich lasse mich nicht bezahlen, wenn ich nicht arbeite«, sagte er. »Außerdem finde ich selbst hinaus.«
In der Tür blieb er stehen. »Wenn Sie auf den Gedanken kommen, unsere Stadt zu verlassen, bin ich willens, Ihnen einen guten Preis für dieses Haus zu zahlen. Sagen wir, dass ich vielleicht an erster Stelle in der Warteschlange stehe, wenn es aktuell wird? Für die kleine Hilfe, die ich Ihnen heute Morgen geleistet habe.«
Er wartete
Weitere Kostenlose Bücher