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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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recht hatte. »Du glaubst also, dass es ein weißer Mann war?«
    »Niemand von uns will, dass sie stirbt.«
    »Hast du eine Erklärung dafür, dass sie sich weigert zu sprechen?«
    »Sie trauert.«
    »Trauert?«
    »Sie trauert um ihren Mann, den sie töten musste.«
    »Weil er sie betrogen hat?«
    »Sie wusste, dass alle Weißen so etwas tun.«
    »Sagen alle weißen Menschen die Unwahrheit?«
    »Nicht zu ihresgleichen. Aber zu uns.«
    »Sage ich die Unwahrheit?«
    Felicia antwortete nicht. Sie sah Ana in die Augen, blieb aber stumm.
    Also kann ich mir die Frage selbst beantworten, dachte Ana. Die Entscheidung liegt bei mir, bei niemandem sonst.
    »Ich verstehe nicht, was du meinst, wenn du sagst, Isabel würde trauern. Ihr fehlen natürlich die Kinder. Aber das ist keine Trauer.«
    »Sie trauert um die Kinder, die sie nicht mehr bekommen wird. Da sie gezwungen war, den Mann zu töten.«
    Ana bekam das Gefühl, ihr Gespräch drehe sich im Kreis. Sie ahnte die Logik in Felicias Worten, ohne sie zu verstehen. »Wer will sie töten?«, fragte sie wieder.
    »Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass jeder Weiße hier in der Stadt bereit wäre, das Messer zu ergreifen, das direkt in ihr Herz gestoßen wird.«
    »Wer hätte einen Vorteil durch ihren Tod? Niemand kann Pedro wieder lebendig machen.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Felicia. »Ich bin nicht weiß, ich kann eure Gedanken nicht verstehen.« Ana kam nicht weiter. Felicia strich mit den Händen über das frisch gewaschene weiße Kleid, glättete vorsichtig die Falten. Sie wollte gehen.
    »Wer bin ich für dich?«, fragte Ana plötzlich.
    »Du bist Ana Branca«, erwiderte Felicia erstaunt.
    »Nichts weiter?«
    »Dir gehören dieser Baum, das Grundstück und das Haus, das uns beherbergt.«
    »Nichts weiter?«
    »Ist das nicht genug?«
    »Doch«, sagte Ana. »Es ist mehr als genug. Es ist so viel, dass ich es kaum zu tragen vermag.«
    Ein riesiger bärtiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht stand plötzlich in der offenen Tür zum Garten. Es war Felicias Kunde. Ana sah ihnen nach, als sie zu Felicias Zimmer gingen. Sie wirkte so klein an seiner Seite.
    So wie ich gewirkt haben muss, dachte sie. Als ich neben Lundmark zum Konsul von Alger ging, um zu heiraten.
    Sie blieb unter dem Baum sitzen. Es hatte früher am Abend geregnet. Die Erde dampfte, es roch süßlich von den Wurzeln des Baums. Da war noch ein anderer Geruch, den sie nicht einordnen konnte. Ana dachte wieder an sich selbst, als sie Hanna hieß, und an all die Gerüche, die von Mooren und Heideflächen aufgestiegen waren, wo sie aufgewachsen war.
    Für einen kurzen Moment wurde das Gefühl des Heimwehs überwältigend. Keine Erinnerungsbilder konnten diese Sehnsucht so stark heraufbeschwören wie Düfte und Gerüche. Die sie an etwas erinnerten, was verloren war und ihr immer fehlen würde.
    Dort unter dem Baum entschloss sie sich zu bleiben, bis Anwalt Pandre Isabel besucht und ihr einen Rat gegeben hätte. Wenn es schließlich keine Möglichkeit gäbe, der gefangenen Frau zu helfen, gäbe es auch keinen Grund für sie, im Land zu bleiben. Sie würde nicht aufgeben, sich aber auch keinen Illusionen hingeben.
    Die Gedanken wurden von einer Stimme unterbrochen, die sie zu kennen meinte. Aus der Tür zum Hof, zusammen mit Belinda Bonita, kam ein Mann, der nicht ganz nüchtern war, wie sie an seinem Gang sah. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Zunächst konnte sie nicht verstehen, was er sagte. Dann erkannte sie, dass es eine Sprache war, die sie beherrschte, auch wenn der Mann lallte.
    Jetzt wusste sie, wer es war: Halvorsen. Der Lundmarks bester Freund gewesen war. Er, der versprochen hatte, ihr zur Seite zu stehen, wenn sie nach Lundmarks Tod Hilfe brauchte.

61
     
    Zum zweiten Mal kam jemand von der ihr vertrauten Besatzung der Lovisa in ihr Bordell. Aber sie fragte sich rasch, ob sie sich nicht doch täuschte. Halvorsen war ein ernster Mann gewesen, tiefreligiös, der im Gegensatz zu den anderen von der Besatzung nicht trank. Svartman, Lundmark und Halvorsen hatten zu den Nüchternen gehört, dachte sie. Aber als sie ihn jetzt sah, konnte er kaum das Gleichgewicht halten, und sein Norwegisch klang lallend. Sie hatte das Gefühl, er sei verärgert darüber, dass Belinda Bonita nicht verstand, was er sagte. An Bord des Schiffes hatte Halvorsen immer mit leiser, fast flüsternder Stimme gesprochen. Jetzt klang es, als erteilte er einen Befehl.
    Als er sich schließlich umdrehte, mit einem Bündel von

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