Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
sein. Es wird nie eine Biographie geben, aber die Bilanz wurde gezogen, und es ist eine, auf die man stolz sein kann. Der Nachruf in der Times hätte Thomas gefallen. Er stand auf der ersten Seite unter dem Falz, war fehlerlos und hatte genau den richtigen Ton. Die Leute in seiner Firma verehrten ihn. Seine Klienten ebenfalls, besonders diese mexikanischen und lateinamerikanischen Finanzminister und Notenbanker. Das Gleiche gilt für alle, die später in seiner Stiftung mit ihm zu tun hatten, und ich glaube, auch für die Denkfabriken, mit denen er zusammenarbeitete, und für den Council on Foreign Relations zum Beispiel. Aber du weißt ja, was Marcus Antonius sagt: »Was Menschen Übles tun, das überlebt sie / das Gute wird mit ihnen oft begraben.« Ob wahr oder nicht, es ist zynisch und schrecklich. Ich stelle mir gern vor, dass das Gute, das Thomas getan hat, noch eine Weile am Leben bleibt. Er hat eine Menge Gutes getan – im Stillen, weil er schüchtern war. Böses nie; dessen bin ich mir sicher. Ich habe nie gesehen oder gehört, dass er böswillig gehandelt hätte oder in der Absicht, jemanden zu verletzen. Er war selbst sein schärfster Kritiker. Das Beispiel dafür, das dich interessieren wird, ist seine Überzeugung, unverantwortlich gehandelt zu haben – kriminell fahrlässig sei er gewesen, sagte er, als er Lucy heiratete, weil er insgeheim gewusst habe, dass die Ehe scheitern würde, und noch einmal, als er ihr sagte, erwünsche sich ein Kind, weil er hätte erkennen müssen, wie schwer es sein würde, solche Eltern zu haben. Am schlimmsten fand er, dass alles so unfair ausging. Er kam unversehrt durch. Ich habe keine Skrupel, es zu sagen – wir beide hatten ein sehr glückliches Leben. Über seinen Erfolg im Beruf müssen wir nicht reden. Er hat sehr viel Geld verdient. Das war ihm nicht unwichtig. Du und ich, wir wissen über Lucy Bescheid. Natürlich war ihm klar, dass sie schon vor der Ehe schwerwiegende Probleme hatte, aber trotzdem konnte er den Gedanken nicht loswerden, dass sie mit einem ganz anderen Mann vielleicht viel besser gefahren wäre. Zum Beispiel mit einem, der so viel Autorität hätte haben müssen, dass sie sich nach ihm richtete. Ich sagte ihm dann, das sei ein Hirngespinst. Sie hätte jeden ermordet, der das versuchte. Das Wunder in seinen Augen war, dass Jamie sich so gut entwickelt hatte und dass sie einander so wunderbar verstanden. Thomas liebte ihn sehr. Jetzt bin ich abgeschweift, das tut mir leid. Was ich sagen wollte, ist aber ganz einfach: Er hat dich geschätzt und gerngehabt. Wenn in deinem Bild von Thomas Lücken sind, dann solltest du sie nicht alle von Lucy füllen lassen; er hat etwas Besseres verdient, glaube ich.
Zumindest die Ehe mit dieser Frau hat er nüchtern und bedachtsam geschlossen, sagte ich mir, und ich kam nur ungern auf das Thema der gescheiterten Ehe zurück. Aber sie hatte mich fast gedrängt, Fragen aufzuwerfen. So entschied ich mich, sie beim Wort zu nehmen.
Es gibt da tatsächlich eine Leerstelle, die mich verwirrt, sagte ich. Wenn schon aus keinem anderen Grund, so muss es doch wegen Jamie sehr schmerzlich gewesen sein, Lucy zu verlassen. Wie alt war Jamie? Dreizehn?Vierzehn? Die Ehe war praktisch von Anfang an brüchig gewesen. Als wir in der Stadt beim Lunch zusammensaßen, hast du mir von dir aus gesagt, er habe Lucy nicht deinetwegen verlassen und ich solle ihr nicht glauben, wenn sie etwas anderes behaupte. Das tut sie; sie sagt, er habe sie verlassen, um mit dir zusammen zu sein, und dieses Bild malt sie in kräftigen Farben. Aber wenn es nicht stimmt, warum ist er dann gegangen? Warum zu dieser Zeit? Warum nicht, als Jamie im Internat war? Oder früher, bevor sie ihn hatten?
Du hast recht, erwiderte sie. Jamie zu verlassen war sehr schwer für Thomas und sehr schlimm für Jamie. Thomas sagte, Jamie weinen zu sehen, als er ihm erklären musste, dass er ausziehe, sei der schmerzlichste Moment seines Lebens gewesen. Das Seltsame ist, dass ich nicht weiß, warum er gerade zu diesem Zeitpunkt auszog, obwohl ich und ungefähr alle um sie herum gemerkt hatten, dass die Ehe in die Brüche ging. Ich weiß es wirklich nicht. Er weigerte sich, es mir zu erzählen, sagte nur, er gehe, weil er müsse, wolle aber nicht darüber reden, weil die Umstände niemanden außer ihn und Lucy angingen. Ich sah keinen Grund, in ihn zu dringen. Weiß es Jamie? Ich habe keine Ahnung; er hat nichts davon gesagt, seit sein Vater tot ist, und ich würde nicht im
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