Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Damals indes zwang ihn die allgemeine Freude über den Erfolg der russischen Waffen, seine geheimen Gedanken zu verbergen. Mit Bedauern erfuhr er die Niederlage der preußischen Truppen, die er für unbesiegbar gehalten hatte.
Einige Tage nach diesem Feste kehrten wir in die Stadt zurück und bezogen den Sommerpalast. Hier meldete mir Graf Alexander Schuwaloff eines Abends, daß die Kaiserin sich bei seiner Frau befände und mich auffordere, dorthin zu kommen, um mit ihr zu reden, wie ich es vergangenen Winter gewünscht hätte. Ich begab mich also unverzüglich in die Gemächer des Grafen und der Gräfin Schuwaloff, die hinter den meinigen lagen, und fand dort die Kaiserin ganz allein. Nachdem ich ihr die Hand geküßt und sie mich, ihrer Gewohnheit gemäß, umarmt hatte, erwies sie mir die Ehre, zu sagen, sie habe gehört, daß ich mit ihr zu reden wünsche und sei nun gekommen, um zu erfahren, was ich auf dem Herzen habe. Nun waren aber damals mehr als acht Monate seit meiner Unterredung mit Alexander Schuwaloff, hinsichtlich Brockdorfs, vergangen. Ich erwiderte daher Ihrer Majestät, als ich im vorigen Winter das Benehmen Brockdorfs mit angesehen, hätte ich es fürunerläßlich gehalten, mit Graf Alexander Schuwaloff darüber zu sprechen, damit er Ihre Majestät davon in Kenntnis setzen konnte. Er hatte mich dann gefragt, ob er mich erwähnen dürfe, worauf ich ihm erwidert: »Wenn Ihre kaiserliche Majestät es wünschte, würde ich selbst alles wiederholen, was mir bekannt sei.« Dann erzählte ich ihr die Affäre Elendsheim in ihrem wahren Hergange. Sie hörte mir anscheinend mit großer Kälte zu und fragte mich dann nach Einzelheiten über das Privatleben des Großfürsten und über seine Umgebung. Mit der größten Wahrhaftigkeit sagte ich alles, was ich wußte. Als ich aber über die holsteinischen Verhältnisse einige Bemerkungen machte, woraus sie ersehen mußte, daß ich sie gut kannte, sagte sie streng: »Sie scheinen über dieses Land sehr wohl unterrichtet zu sein.« Ich antwortete naiv, dies könne mir nicht schwer fallen, da der Großfürst mir befohlen habe, mich damit bekannt zu machen. Aber ich sah es der Kaiserin an, daß dieses Vertrauen des Großfürsten zu mir einen unangenehmen Eindruck auf sie machte; überhaupt schien sie während der ganzen Unterredung eigentümlich verschlossen. Sie ließ mich reden, fragte mich aus, sagte aber selbst kaum ein Wort, so daß diese Unterhaltung mir von ihrer Seite mehr wie eine Art Verhör, als ein vertrauliches Gespräch vorkam. Endlich verabschiedete sie mich ebenso kalt, als sie mich empfangen, und ich war sehr wenig erbaut von meiner Audienz. Alexander Schuwaloff empfahl mir, sie so geheim wie möglich zu halten, was ich auch versprach – übrigens konnte ich mich ihrer auch nicht rühmen. In mein Zimmer zurückgekehrt, schrieb ich die Kälte der Kaiserin der Abneigung zu, welche, wie ich schon seit längerer Zeit wußte, die Schuwaloffs ihr gegen mich eingeflößt hatten. In der Folge wird man sehen, zu welch abscheulichem Gebrauch von dieser Unterredung, wenn ich so sagen darf, man sie überredete.
Kurz darauf erfuhren wir, daß der Marschall Apraxin, statt seine Erfolge zu benutzen, nach der Einnahme von Memel und dem Siege bei Großjägerndorf sich mit solcher Eile zurückzog, daß dieser Rückzug fast einer Flucht glich, denn er vernichtete und verbrannte sein ganzes Gepäck und vernagelte alle seine Kanonen. Niemand begriff ein solches Verfahren. Selbst seine Anhänger konnten es nicht rechtfertigen, und eben deshalb vermutete man ein Geheimnis dahinter. Obgleich ich wirklich selbst nicht wußte, wem der übereilte und unzusammenhängende Rückzug des Generals Apraxin zuzuschreiben war, da ich ihn niemals wieder zu sehen bekam, so glaube ich doch die Ursache davon zu vermuten. Er erhielt nämlich von seiner Tochter, der Fürstin Kurakin, die noch immer – aus Politik, nicht aus Neigung – mit Peter Schuwaloff ein Verhältnis hatte, sowie von seinem Schwager, dem Fürsten Kurakin, und andern Verwandten und Freunden ziemlich genaue Nachrichten über die Gesundheit der Kaiserin, die von Tag zu Tag schlechter wurde. Man war schon damals ziemlich allgemein überzeugt, daß sie alle Monate regelmäßig an sehr heftigen Krämpfen litte. Diese Krämpfe schwächten ihre Organe zusehends, so daß sie nach jeder Krise drei bis vier Tage in einem solchen Zustand von Schwäche und Entkräftung ihrer Geistesfähigkeiten war, der schon mehr an Lethargie
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